Chinas Zentralbank schiebt Zinsliberalisierung an

Marktgesteuerte Benchmark für Kreditzinsen

Chinas Zentralbank schiebt Zinsliberalisierung an

Von Norbert Hellmann, SchanghaiInmitten der jüngst wieder aufgeflackerten Spannungen am chinesischen Geldmarkt wartet die Zentralbank mit einer überraschenden Zinsliberalisierungsgeste auf. Am Freitag verkündeten die Währungshüter die prompte Einführung einer neuen Orientierungsmarke für Kreditzinsen, die nicht von der Zentralbank vorgegeben ist, sondern von chinesischen Großbanken ermittelt wird.Die ab sofort täglich ermittelte Loan Prime Rate (LPR) soll den Kreditzins widerspiegeln, den Chinas führende Banken ihren besten Kunden einzuräumen bereit sind, im Zweifelsfall handelt es sich dabei um große Staatsbetriebe. Die für einjährige Gelder berechnete LPR siedelt sich naturgemäß unterhalb der offiziellen Leitzinsmarke für einjährige Kreditvergaben an, die seit Mitte 2012 unverändert bei 6 % liegt. Großbanken am RuderZum Auftakt am Freitag wurde ein Zinssatz bei 5,71 % ermittelt. Er ist als Durchschnittswert der Nennungen der neun größten und allesamt staatlich dominierten Geschäftsbanken des Landes entstanden, wobei es zur Streichung des höchsten und niedrigsten Gebots kommt. Damit ähnelt das Verfahren der Ermittlung von Referenzzinssätzen am Geldmarkt wie der London Interbank Offered Rate (Libor) oder dem chinesischen Pendant Shanghai Interbank Offered Rate (Shibor). Transparentere PreisfindungIn einer Mitteilung der People’s Bank of China (PBOC) wird von einer Maßnahme gesprochen, die eine Zinsliberalisierung im Reich der Mitte vorantreiben soll und eine transparentere Preisfindung für Kreditprodukte erlaubt. Dahinter steht der Gedanke, dass die rigide staatliche Zinsbindung, an der sich die Banken orientieren müssen, sukzessive durch stärker marktgetriebene Mechanismen ersetzt werden soll.Im Sommer hatte die PBOC die Begrenzung für Kreditzinsbewegungen unter die Leitzinsmarke förmlich aufgehoben. Damit haben die Banken theoretisch die Möglichkeit, wettbewerbsorientiert Senkungen von Kreditkonditionen unter die Leitzinsmarke vorzunehmen. De facto spielt sich das Gros der Kreditvergabe zu Konditionen oberhalb der 6 %-Marke ab, so dass die Auswirkungen gering geblieben sind.Auf der Einlagenseite wiederum dürfen die Banken Sparzinsen bieten, die bis zu 10 Punkte höher sind als die gegenwärtige Leitzinsmarke bei 3 %. Auch hier ist der Spielraum angesichts der Wettbewerbsarmut unter den großen Staatsbanken kaum ausgenutzt worden. Eine echte Liberalisierung der Einlagenzinsen steht zwar auf der Reformagenda der Regierung, man schreckt aber noch davor zurück, sie rasch durchzusetzen, weil zu befürchten ist, dass kleinere Institute im freien Wettbewerb um Spareinlagen überfordert würden. Der neue Schritt dürfte wenig Auswirkungen auf die tatsächliche Zinsgestaltung der chinesischen Banken haben, bringt jedoch eine wichtige Signalfunktion mit sich. So betont die PBOC, dass die LPR als marktgebildeter Zins künftig in den Vordergrund rücken soll und den offiziellen Leitzins ablösen wird. Rätselhafte ÜbergangszeitFür eine “Übergangszeit” will man jedoch an der alten Benchmark festhalten, um den Instituten eine Richtschnur zum Setzen “vernünftiger Zinsraten” zu geben, so die PBOC. Dabei werden keine Angaben gemacht, wie lang die Übergangszeit währen wird. Analysten zufolge könnte es sich eher um Jahre als um Monate handeln.Immerhin aber wird mit der neuen Maßnahme eine klare Positionsnahme der Zentralbank erkennbar, wie sich ein marktgesteuertes Zinssystem der Zukunft in China darstellen soll. Dabei würde sich die Zinsbildung, angefangen bei kurzfristigen Interbankgeldern bis zu länger laufenden Krediten für Unternehmen, an den von Banken sondierten Durchschnittswerten orientieren. Damit dürfte es zu einer stärkeren Fortpflanzung von Impulsen aus dem Interbankmarkt auf längerfristige Zinsen und einer höheren Volatilität der Kreditsätze kommen. Dazu passt die Gangart der PBOC, die ihre geldpolitische Steuerung immer stärker nach westlichem Vorbild über Offenmarktgeschäfte laufen lässt. Geldmarktzins im FokusIn diesem Jahr ist es zu heftigen Zinsschwankungen am Geldmarkt gekommen, nachdem die Zentralbank im Juni die Banken bei der Geldversorgung ungewöhnlich knapp gehalten hatte und die üblicherweise bei unter 4 % liegenden Geldmarktzinsen auf zweistellige Raten hochschossen. Die Liquiditätsverknappung galt als Disziplinierungsmaßnahme, um Banken den Rückgriff auf billige Interbankgelder zur Alimentierung von Schattenbankfinanzierungen zu verleiden.In den letzten Tagen machte sich erneut ein starker Auftrieb der Geldmarktsätze bemerkbar, nachdem die PBOC auf Geldmarkteinschüsse verzichtet und dem Markt Liquidität entzogen hatte. Am Freitag kletterte der Sieben-Tages-Reposatz auf bis zu 5,5 % und erreichte den höchsten Stand seit der “Geldmarktkrise” Ende Juni. Die härtere Gangart der Zentralbank wird diesmal vor allem als Reaktion auf wachsende Inflationsgefahren und überhitzende Immobilienmärkte verstanden. Trotz einer wachsenden Marktnervosität, die sich vor allem auch am Aktienmarkt entladen hat, rechnen Analysten nicht damit, dass es erneut zu dramatischen Auswüchsen am Geldmarkt wie im Juni kommen wird.