LEITARTIKEL

Chinesisches Wunschkonzert

Es gibt eine von den Nachwehen der globalen Finanzkrise geprägte Wunschformel in Sachen Balance zwischen den größten Wirtschaftsnationen, nämlich dass sich die Wachstumskräfte in den USA beschleunigen mögen und Chinas Wirtschaft auf einen...

Chinesisches Wunschkonzert

Es gibt eine von den Nachwehen der globalen Finanzkrise geprägte Wunschformel in Sachen Balance zwischen den größten Wirtschaftsnationen, nämlich dass sich die Wachstumskräfte in den USA beschleunigen mögen und Chinas Wirtschaft auf einen vernünftigen und nachhaltigeren Wachstumspfad einschwenkt. Gegenwärtig beobachtet man – allerdings mit gehöriger Verspätung – genau eine solche Verschiebung, und sie löst heftige Anpassungsschmerzen an den Märkten aus, die vor allem Schwellenländer ins Wanken bringen. Die sichtlich erstarkende US-Wirtschaft und eine deutliche Konjunkturabkühlung im Reich der Mitte bringen, gepaart mit einer neuen Situation an den Rohstoffmärkten, heftige Verwerfungen mit sich. Die vom Fracking-Boom in den USA losgetretene Ölschwemme und eine stark gedrosselte Nachfrage des weltgrößten Rohstoffimporteurs China lassen die Preise purzeln und reißen damit nicht nur Russland in den Abgrund.Auch in anderen Schwellenländern in Südost- und Zentralasien stehen die Zeichen auf Alarm. Die mit einer Erstarkung der US-Wirtschaft verbundene “Normalisierung” der Geldpolitik mit entsprechend steigenden Zinsen lässt die Marktteilnehmer in den Dollar gehen und forciert einen destabilisierenden Kapitalabzug aus asiatischen Ländern. Gleichzeitig stellt man dort fest, dass die Exporte hin zu ihrem wichtigsten regionalen Absatzmarkt China ins Stocken kommen. Allerorten werden entsprechend bange Blicke nach Peking gerichtet, wo man mit dem schwierigen Abgleich von strukturellen Reformzielen und der Bemühung, das Wachstum in den von den Wirtschaftsplanern vorgesehenen Bahnen zu halten, ringt.Gegenwärtig sieht es nicht danach aus, dass die für 2014 angesteuerte Wachstumsrate des Bruttoinlandsprodukts von 7,5 % erreicht werden kann. Der gegenwärtig absehbare Trend bei der chinesischen Industrieproduktion und den Anlageinvestitionen lässt eine weiter abgebremste Wachstumsdynamik im Reich der Mitte erwarten, auf die man sich in Peking wohl oder übel mit der Verkündung eines niedrigeren Wachstumsziels für 2015 einstellen muss oder zumindest vernünftigerweise sollte.Die große Preisfrage ist nun, ob die stark zurückgekommene Konsumpreisinflation und eine Deflation bei den chinesischen Erzeugerpreisen den geeigneten Hintergrund für eine Zinssenkungsoffensive in China abgeben, die geeignet wäre, die Wirtschaft wieder anzukurbeln und den schwächelnden Wohnimmobilienmarkt zu stabilisieren. Genau vor einem Monat hat die chinesische Zentralbank eine zu diesem Zeitpunkt höchst überraschende Leitzinssenkung vorgenommen. Damit wurde ein durchschlagender “Erfolg” erzielt, möglicherweise allerdings an der falschen Stelle. Seitdem nämlich spielen die Aktienmärkte auf dem chinesischen Festland verrückt, im krassen Gegensatz zum Trend an anderen asiatischen Märkten hat man eine Monsterrally losgetreten. Derzeit fiebern die in Millionenstärke in den Aktienmarkt zurückgekehrten chinesischen Retailinvestoren geradezu weiteren schwachen Konjunkturdaten entgegen, weil sie sich davon neue Zinsimpulse versprechen, die die Hausse weiter nähren würden.Für Peking entwickelt sich dies zu einem gefährlichen Spiel, denn man muss sich die Frage stellen, ob der Zinsimpuls wirklich die gewünschte Wirkung erzielt. Die eigentlich im Fokus der Geldpolitiker stehenden Kreditkosten für kleinere und mittlere Unternehmen sind nicht wirklich zurückgekommen, dennoch zeigt sich die Kreditnachfrage belebt. Dies aber auch, weil zahlreiche Unternehmen – in einer für Chinas noch unreife Kapitalmärkte typischen Art und Weise – die Gunst der Stunde nutzen, sich Kredite zu besorgen, um damit Aktienspekulationsgeschäfte zu tätigen und auf der Hausse mitzureiten.Mit herkömmlicher Kredit- und Nachfragebelebung hat dies nichts zu tun. Statt Konjunkturstabilisierung sieht man irrationalen Überschwang am Aktienmarkt.Wenn die chinesische Regierung die eigenen Lippenbekenntnisse der Förderung des qualitativen statt quantitativen Wachstums ernst nimmt, sollte sie auch mit gutem Gewissen auf monetäre Impulse verzichten können, die sich im Zweifelsfall lediglich in Aktienmarktblasen entfalten. Mit dem Strukturwandel aber sollte sich eine Stärkung der Konsumkräfte verbinden, die Chinas Importnachfrage anregt. Es mag nach wenig klingen, aber das ist der Beitrag, den China zur Glättung weltwirtschaftlicher Wogen zu leisten vermag.——–Von Norbert HellmannChinas Zentralbank hat mit einer Leitzinssenkung durchschlagenden Erfolg erzielt, möglicherweise allerdings an der falschen Stelle.——-