ANSICHTSSACHE

Corona-Anleihen sind das falsche Instrument

Börsen-Zeitung, 9.4.2020 Die Eurogruppe bleibt in ihrer Einschätzung gespalten, welche Instrumente die beste "Verteidigungslinie" gegen die ökonomischen Folgen der Corona-Pandemie sind. Es scheint gesetzt zu sein, dass die Mittel der Europäischen...

Corona-Anleihen sind das falsche Instrument

Die Eurogruppe bleibt in ihrer Einschätzung gespalten, welche Instrumente die beste “Verteidigungslinie” gegen die ökonomischen Folgen der Corona-Pandemie sind. Es scheint gesetzt zu sein, dass die Mittel der Europäischen Investitionsbank zur Bereitstellung von Krediten für Unternehmen aufgestockt werden sollen. Auch ein neues Instrument zur Unterstützung von Kurzarbeit in Europa stößt auf viel Zustimmung. Der Streit entzündet sich an der Frage einer möglichen europäischen Beteiligung an der Staatsfinanzierung einzelner Länder.Neun Staats- und Regierungschefs, u.a. aus Frankreich, Italien und Spanien, rufen nach gemeinschaftlich herausgegebenen Corona-Anleihen. Die Mittel sollen an die Euro-Staaten fließen, die sie am nötigsten haben. In einem Aufruf haben Ökonomen eine Anleihe in Höhe von 1 Bill. Euro vorgeschlagen, etwa 8 % des Bruttoinlandsprodukts der Euro-Länder. Andere europäische Länder, u.a. Deutschland, halten dagegen und befürworten stattdessen eine Aktivierung der vorsorglichen Kreditlinie beim Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM), die einzelne Länder bei Bedarf abrufen können. Es wird darauf verwiesen, dass es zu lange dauern würde, Corona-Anleihen einzuführen. Dabei könnte man diese Kritik noch offensiver formulieren: Corona-Anleihen sind nicht nur schwierig in der Umsetzung, sie sind auch konzeptionell das falsche Instrument und würden derzeit Europa mehr schaden als nutzen.Eine unstrittige Aufgabe der “Verteidigungslinie” gegen die ökonomischen Folgen der Pandemie ist, sicherzustellen, dass Länder in der Coronakrise über ausreichend Mittel verfügen. Sie könnten ansonsten dazu gezwungen sein, auf sinnvolle Stabilisierungs- und Konjunkturmaßnahmen zu verzichten, was negative wirtschaftliche Auswirkungen auf ganz Europa hätte. Der Einsatz von Corona-Anleihen verspricht hier zunächst Abhilfe, könnte aber mittelfristig dazu führen, dass sich die Situation sogar verschärft. Dies wird am Beispiel Italiens deutlich.Stand Ende 2019 ist Italien mit 2,4 Bill. Euro verschuldet und es ist absehbar, dass die Verschuldung jetzt rasch über 2,5 Bill. Euro steigen wird. Da ein Teil der nationalen Anleihen immer wieder ausläuft und erneuert werden muss, muss Italien 2020 über 350 Mrd. Euro an Krediten aufnehmen. Bei einer einmaligen europäischen Corona-Anleihe von 1 Bill. Euro entspräche der Anteil Italiens gemäß EZB-Kapitalschlüssel 130 Mrd. Euro. Dieser Schlüssel soll gemäß einem der aktuellen Vorschläge für die Verteilung der Schuldenanteile der Corona-Bonds herangezogen werden. Gehen wir zudem davon aus, dass Italien mit einem Transfer von 100 Mrd. Euro über seinen Schuldenanteil hinaus begünstigt würde. Bei einer Staatsverschuldung von ca. 2,5 Bill. Euro entspräche selbst ein derart hoher Transferanteil gerade einmal 4 % dieser Schulden. Es ist daher nicht zu erwarten, dass eine so geartete Corona-Anleihe Italiens Bonität nennenswert verbessern würde. Sie könnte sie sogar verschlechtern. Spätestens nachdem die Mittel aus der Corona-Anleihe verbraucht sind, muss Italien wieder an den Kapitalmarkt. Wenn die Bedienung der Corona-Anleihe Vorrang genießt, werden Investoren an den Kapitalmärkten dann für konventionelle italienische Anleihen noch höhere Risikoprämien verlangen. Hinzu kommt, dass eine hohe Inanspruchnahme der Corona-Anleihen ein Signal dafür sein kann, dass die nationalen Anleihen in ihrer Marktfähigkeit in Zukunft gefährdet sein können.Der Abruf von Krediten aus der vorsorglichen Kreditlinie beim ESM hätte eine ähnliche Wirkung auf die Kapitalmarktfähigkeit des unterstützten Landes, da die Ansprüche des ESM gegenüber den Schuldnerländern explizit Vorrang vor den Ansprüchen anderer Gläubiger genießen. Allerdings wäre ein Abruf dieser Mittel nicht zwingend. Der ESM bietet zusätzlich den Vorteil, dass er seit 2012 etablierte Verfahren hat und auch noch bereitsteht, sollten später weitere Stabilisierungsmaßnahmen notwendig werden.Bei einer Corona-Anleihe stellt sich darüber hinaus die Frage, wer nach welchen Kriterien die Mittel aus dieser Anleihe beziehen soll. Europäische Solidarität im Sinne des Gedankens wechselseitiger Versicherung bedeutet, dass in der Krise weniger betroffene Länder den mehr betroffenen Ländern beistehen. Wie wird jedoch diese Betroffenheit definiert? Im Moment nehmen wir vor allem die epidemiologische Ebene mit den hohen Sterberaten und den menschlichen Tragödien in Italien und Spanien wahr, was einen unmittelbaren und ethisch gebotenen Wunsch nach Solidarität hervorruft. Auf der wirtschaftlichen Ebene ergibt sich ein differenzierteres Bild. So trifft der Einbruch der Tourismusindustrie Länder wie Spanien oder Italien besonders. Andererseits sind angesichts der drohenden starken Kontraktion des Welthandels exportlastige Länder wie Deutschland oder die sehr handelsoffenen kleineren Euro-Staaten ebenfalls von einer besonders schweren Rezession bedroht. Werden die Einnahmen der Corona-Anleihen nach ökonomischer Krisenbetroffenheit verteilt, dann ist überhaupt nicht sicher, dass dies den hoch verschuldeten Ländern in besonderer Weise helfen wird. Dafür müssten die Mittel nach der Höhe der Staatsverschuldung verteilt werden, womit sie wiederum nicht auf die unterschiedliche Betroffenheit durch die Krise reagieren könnten und so ihre Versicherungsfunktion nicht erfüllen würden.Corona-Anleihen können nur schwer beides sein – ein Solidarinstrument, das Länder unterstützt, die von der Krise besonders betroffen sind, und ein Stabilisierungsinstrument, das Mittel für Länder mit hoher Verschuldung bereitstellt. Mittelfristig können sie den Zugang zum Kapitalmarkt für hoch verschuldete Staaten sogar erschweren. Sie sind, sogar unabhängig von den rechtlichen und institutionellen Fragen, die eine Einführung aufwerfen würde, das falsche Instrument. Prof. Friedrich Heinemann ist Leiter des ZEW-Forschungsbereichs “Unternehmensbesteuerung und Öffentliche Finanzwirtschaft” und Prof. Achim Wambach ist ZEW-Präsident. In dieser Rubrik veröffentlichen wir Kommentare von führenden Vertretern aus der Wirtschafts- und Finanzwelt, aus Politik und Wissenschaft.——-Von Achim Wambach und Friedrich HeinemannCorona-Anleihen können mittelfristig den Zugang zum Kapitalmarkt für hoch verschuldete Staaten erschweren.——