Corona legt Defizite in Währungsunion offen
Die Corona-Pandemie hat nach Einschätzung des Europäischen Fiskalrats auch die Defizite in der Architektur der Währungsunion noch einmal offengelegt. Das Beratergremium forderte daher eine permanente Haushaltskapazität, eine Reform der Fiskalregeln und mehr Anreize für öffentliche Investitionen.ahe Brüssel – Der Europäische Fiskalrat (European Fiscal Board/EFB), ein unabhängiges wissenschaftliches Beratergremium der EU-Kommission, macht sich angesichts der jüngsten Pandemie-Erfahrungen für eine dauerhafte zentrale Steuerkapazität in der Wirtschafts- und Währungsunion stark. Mit dieser Kapazität im dreistelligen Milliarden-Euro-Bereich solle künftig großen wirtschaftlichen Schocks besser und schneller begegnet werden können, heißt es im gestern vorgelegten Jahresbericht des EFB.Der Fiskalrat schlug vor, ein neues makroökonomisches Steuerinstrument, von dem auch die Nicht-Euro-Staaten in der EU profitieren könnten, in Form eines größeren EU-Haushalts anzulegen, der möglichst aus eigenen Steuermitteln finanziert werden sollte. Dabei benötige eine echte und dauerhafte Haushaltskapazität ein kumuliertes Vermögen von 1,5 bis 2,5 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) des Euroraums beziehungsweise der gesamten EU, hieß es in dem Bericht.Auszahlungen könnten über eine Kombination aus indikatorbasierter Automatik und unabhängigen Bewertungen erfolgen. Der Fiskalrat, der Merkmale für eine solche zentrale Steuerkapazität in dem geplanten Wiederaufbaufonds der EU ausgemacht hat, verweist darauf, dass mit dem Ausbruch der Covid-19-Krise die Schultern der Europäischen Zentralbank (EZB) und der nationalen Regierungen erneut übermäßig belastet worden seien.Der Fiskalrat rief zugleich noch einmal dringend zu einer Reform der europäischen Haushaltsregeln auf. Er verwies darauf, dass es in den vergangenen Jahren viele Regierungen trotz der aktuell gültigen Vorgaben versäumt hätten, in guten Zeiten Puffer aufzubauen. Dies habe dann in diesem Jahr ihre Fähigkeit beeinträchtigt, die wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie absorbieren zu können. Prozyklische FinanzpolitikDas Jahr 2019 zeigte laut Fiskalrat die Defizite der aktuellen Regeln noch einmal deutlich: Erstmals seit 2011 stiegen die Defizite sowohl in der EU als auch im Euroraum wieder an – trotz eines Wirtschaftswachstums und der weiterhin günstigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Die meisten Länder des Euroraums hätten unabhängig von ihrer Haushaltssituation eine nicht angemessene expansive Fiskalpolitik eingeführt, kritisierte der EFB. Die Finanzpolitik sei prozyklisch gewesen. Zudem gebe es in den Mitgliedstaaten einen Mangel an Compliance: Allein 2019 seien nur neun der 19 in Brüssel vorgelegten Haushaltspläne der Euro-Staaten regelkonform gewesen.Die Berater plädierten daher dafür, den Stabilitäts- und Wachstumspakt schlanker aufzustellen und mit einer länderspezifischen Schuldenreduzierungsregel auszustatten. Die Reformen sollten sofort angegangen werden, damit es über die Änderungen möglichst schon Klarheit gebe, wenn die Haushaltsregeln durch die EU-Kommission wieder in Kraft gesetzt würden, hieß es. “Da viele Mitgliedstaaten mit einer historisch hohen Verschuldung von oft weit über 100 % des Bruttoinlandprodukts aus dieser Krise herauskommen werden, ist es dringend erforderlich, mittelfristig einen glaubwürdigen Anker für die Finanzpolitik zu erhalten.” Die neuen Fiskalregeln sollen zudem stärkere Anreize für wachstumsfördernde öffentliche Investitionen enthalten sowie zur Einhaltung der Vorschriften: Denn ohne eine Einhaltung soll es auch keine Gelder aus der neuen zentralen Haushaltskapazität geben.