NOTIERT IN MADRID

Coronavirus sorgt für Lokalpatriotismus in Madrid

Wenige Stunden bevor am vergangenen Freitag in Madrid und seinen Vororten der Alarmzustand in Kraft trat, gab die konservative Zeitung "El Mundo" noch eine schnelle Warnung an die Leser auf Twitter: "Wenn Sie in Madrid leben und über das...

Coronavirus sorgt für Lokalpatriotismus in Madrid

Wenige Stunden bevor am vergangenen Freitag in Madrid und seinen Vororten der Alarmzustand in Kraft trat, gab die konservative Zeitung “El Mundo” noch eine schnelle Warnung an die Leser auf Twitter: “Wenn Sie in Madrid leben und über das Brückenwochenende wegfahren wollen, haben Sie jetzt noch Gelegenheit.” Am Nachmittag verhinderten massive Polizeikontrollen an den Ausfahrtstraßen und Bahnhöfen, dass wie gewohnt ein Großteil der gut fünf Millionen Einwohner der Metropole das um den Nationalfeiertag am Montag verlängerte Wochenende zu einem Kurzurlaub nutzt. Denn die spanische Hauptstadt ist seit einigen Wochen das Epizentrum der zweiten Corona-Infektionswelle des Landes. In den vergangenen vierzehn Tagen wurden mehr als 500 Neuinfektionen auf 100 000 Einwohner registriert. Seit Ausbruch der Pandemie sind in Madrid fast 9 800 Menschen an bzw. mit Covid-19 gestorben.Die Vorstellung von ausschwärmenden infizierten Madrilenen sorgte in manchen Landesteilen, die vom Virus weit weniger getroffen worden sind, für Angst und Schrecken. Vielerorts wurden die wenigen Hauptstädter, die trotz der Kontrollen zu ihren Zweitwohnungen entkommen konnten, mit kritischen bis sehr unfreundlichen Kommentaren empfangen. Schon nach der Lockerung des langen Lockdowns im Juni sorgte die Reiselust der Madrileños im Rest des Landes für Unmut. Der Begriff der “madrileñofobia” ging um. Das wiederholte sich nun am Brückenwochenende zum Día de la Hispanidad, der an die Ankunft von Kolumbus in Amerika am 12. Oktober 1492 erinnert. In den Regionen, die besonders stark vom inländischen Tourismus abhängen, stellt sich freilich ein Widerspruch, dem etwa der Ministerpräsident von Kantabrien zum Opfer fiel. Am Freitagmorgen, vor Verkündung des Alarmzustands in der Hauptstadt, hatte Miguel Angel Revilla noch alle Madrilenen in seiner landschaftlich beeindruckenden Region an der Atlantikküste per Twitter willkommen geheißen, was ihm bei seinen Landsleuten einen mittleren Shitstorm einbrachte. Dabei gestanden Hoteliers im Norden und am Mittelmeer ein, dass die Hauptstädter wesentlich dazu beigetragen hatten, dass der Schaden durch das coronabedingte Ausbleiben ausländischer Touristen in der Sommersaison begrenzt wurde. Denn statt Auslandsreisen machten die Madrilenen dieses Jahr im eigenen Land Urlaub.Wie London und Paris hat Madrid eine außergewöhnliche Stellung im Lande. Die Metropole liegt zwar mitten in Kastilien, ist aber durch Zuwanderung aus allen Landesteilen und dem Ausland geprägt worden. Lokalpatriotismus, wie etwa in Sevilla, Barcelona oder Bilbao, ist den Madrilenen fremd. Doch das könnte sich nun ändern, jedoch nicht unbedingt wegen der “madrileñofobia”. Die konservative Ministerpräsidentin der Hauptstadtregion, Isabel Díaz Ayuso, liefert sich seit geraumer Zeit ein Gefecht mit der Zentralregierung des Sozialisten Pedro Sánchez. Um die eigenen kläglichen Versäumnisse bei der Virusbekämpfung zu kaschieren, wie den Mangel an Tests und Personal für die Nachverfolgung der Infektionsketten, stilisiert sich die streitsüchtige Konservative zur Garantin der Freiheit der Stadt und ihrer Bürger und Bürgerinnen hoch.Da die Konservative eine Anordnung zur Abriegelung Madrids der Regierung ablehnte und diese sogar vor Gericht zu Fall brachte, zog Sánchez die unpopuläre Karte des Alarmzustandes. “Madrid ist frei oder es ist nicht Madrid”, klagte daraufhin die Regionalchefin, ohne jeglichen Betracht der ausufernden Neuinfektionen in der Metropole. In den Medien wird Díaz Ayuso bereits mit den katalanischen Separatisten verglichen, die in sehr ähnlichen Tönen über die vermeintliche Bevormundung durch den Zentralstaat wettern. Doch in der konservativen PP ist nicht jeder Parteifreund einverstanden mit dem Konfrontationskurs von Díaz Ayuso und ihrem neu erfundenen madrilenischen Nationalismus. Andere Regionalfürsten der PP haben wegen der zweiten Welle schließlich auch ihre Städte abgeriegelt, ganz ohne Einwirkung der Sánchez-Regierung. Immerhin durften sich die Gastwirte über ein gutes Geschäft am Brückenwochenende freuen, da die Madrilenen statt am Strand oder in den Bergen ihr Geld in der eigenen Stadt ausgaben.