ALLES AUF GRÜN

Das BIP muss nicht das Maß aller Dinge sein

Entwicklung valider Alternativen braucht Zeit

Das BIP muss nicht das Maß aller Dinge sein

Von Archibald Preuschat, FrankfurtIst das Bruttoinlandsprodukt (BIP) das Maß aller Dinge? Angesichts des Klimawandels mehren sich die Zweifler. Dazu gehören nicht zuletzt die Grünen, die realistische Chancen haben, der nächsten Bundesregierung anzugehören. “Das BIP ist schon heute ein schlechter Indikator für Wohlstand und Lebensqualität, es ist blind für die sozialen Folgen und die ökologischen Schäden unseres Wirtschaftens”, heißt es in einem Beschluss der Bundesdelegiertenkonferenz vom November. Die Partei fordert “ein neues Wohlstandsmaß und eine neue Form der Wirtschaftsberichterstattung”. Aber selbst die Statistiker in Wiesbaden sehen ein, dass die Kritik an der gegenwärtigen Messung der Wirtschaftsleistung nicht unbegründet ist. So fließt etwa, wie auch die Grünen reklamieren, die Beseitigung von Umweltschäden vollumfänglich in das BIP ein – ökologisch ist aber nichts gewonnen und nur der Status quo wiederhergestellt. Nationaler WohlfahrtsindexNeu ist die Diskussion über eine andere Messung der Wirtschaftsleistung indes nicht. Bereits vor zehn Jahren wurde der sogenannte Nationale Wohlfahrtsindex (NWI) von einer Projektgruppe um Hans Diefenbach von der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft und Roland Zieschank vom Forschungszentrum der Freien Universität Berlin entwickelt, deren Sinn und Nutzen in Ökonomenkreisen kontrovers diskutiert wird. Seit diesem Jahr liegt die aktualisierte Fassung des NWI vor. Auftraggeber ist dieses Mal das Institut für Makroökonomie (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung. Unter den 20 Komponenten, die in den NWI einfließen, versuchen neun die Umweltkosten abzubilden. Nur: Vier der 20 Komponenten, darunter drei im Umweltbereich, werden als sogenannte Merkposten deklariert. Das heißt im Klartext: Derzeit können sie noch nicht in einer Weise quantifiziert werden, die den tatsächlichen Größenordnungen und den Änderungen im Zeitverlauf Rechnung trägt.Genau da liegt das Problem, weiß ein Statistiker und nimmt als Beispiel die Komponente 13 des NWI: Kosten durch Bodenbelastungen. Es gibt völlig unterschiedliche Bewertungsansätze – beispielsweise die tatsächlichen Kosten oder die Zahlungsbereitschaft des Verursachers. Sebastian Dullien, der wissenschaftliche Direktor des IMK, gesteht zu, dass der NWI methodisch angreifbar ist, da implizit Geldsummen zur Berechnung hinterlegt werden müssen. Das IMK selbst wählt in seinem kürzlich vorgestellten “neuen magischen Viereck der Wirtschaftspolitik” einen anderen Ansatz: Es betrachtet die Nachhaltigkeit der deutschen Wirtschaftspolitik – nicht zuletzt unter Umwelt- und Sozialkriterien – separat in 14 Faktoren, ohne diese aufzuaddieren.Aber auch die klassische Statistik trägt den ökologischen Herausforderungen durchaus Rechnung. Umweltthemen stehen beim Setzen von Standards für die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung durchaus auf der Tagesordnung. Nur braucht die Anpassung ihre Zeit.Die Frage ist also, wie schnell sich das BIP, das sich über Jahrzehnte zum zentralen Indikator entwickelt hat, verändern lässt, ohne an internationaler Vergleichbarkeit zu verlieren. Optimisten sagen: in fünf Jahren. Andere rechnen mit der Mitte des übernächsten Jahrzehnts – also 2035.