LEITARTIKEL

Das dicke Ende

Seit genau einem Monat kauft die Europäische Zentralbank (EZB) nun in großem Stil Euro-Staatsanleihen - und EZB-Präsident Mario Draghi sowie viele andere EZB-Granden lassen in diesen Tagen kaum eine Chance aus, dieses 1,1-Bill.-Euro-Programm des...

Das dicke Ende

Seit genau einem Monat kauft die Europäische Zentralbank (EZB) nun in großem Stil Euro-Staatsanleihen – und EZB-Präsident Mario Draghi sowie viele andere EZB-Granden lassen in diesen Tagen kaum eine Chance aus, dieses 1,1-Bill.-Euro-Programm des Quantitative Easing (QE) bereits als Erfolg zu verkaufen und in Verbindung zu setzen zur sich bessernden Wirtschaftslage. So verständlich das sein mag, so vermessen ist es aber mitunter: Der positive Trend ist sicher kein “QE-Aufschwung”. Zur ganzen Wahrheit gehört zudem, dass die Risiken dieses geldpolitischen Großexperiments gewaltig sind.Keine Frage: Selbst QE-Gegner müssen – teils zähneknirschend – eingestehen, dass sich der Start der Käufe an den Finanzmärkten kräftiger niedergeschlagen hat, als es möglich schien. Vor allem der neuerliche starke Rückgang der Anleiherenditen ist eine faustdicke Überraschung – zumal die Erfahrungen in den USA und Großbritannien durchaus konträr waren: Dort fielen die Renditen in Erwartung von QE, legten aber dann mit dem Start der Käufe zu. Der Gradmesser für die EZB aber kann und darf nicht das Auf und Ab an den Finanzmärkten sein. Sie muss auf die Lage der Realwirtschaft und zuvorderst den Inflationsausblick fokussieren.Nun hat sich auch das Konjunkturbild aufgehellt und ist die Inflation zumindest aus dem tiefroten Bereich geklettert, seit die EZB im Januar ihren historischen QE-Beschluss gefasst hat. Aber so schnell, wie es mancher Notenbanker glauben machen möchte, kann QE gar nicht in der Wirtschaft ankommen. Sicher, es gibt Effekte, die zeitnah wirken. Ihre volle Wirkung entfalten geldpolitische Maßnahmen aber erst nach 12 bis 18 Monaten. Auch für die mitunter als allmächtig glorifizierte EZB gelten solch irdische (Faust-)Regeln. Tatsächlich ist es vielmehr so, dass die Wirtschaft schon vor QE auf eine zyklische Erholung programmiert war. Treiber gab es viele: die weniger restriktive Fiskalpolitik, erfolgreiche Reformen in Ländern wie Spanien, die vor QE schon beispiellos lockere Geldpolitik – aber vor allem der Ölpreisverfall. Die EZB wäre also gut beraten gewesen abzuwarten.Überdies bleibt grundsätzlich zweifelhaft, ob QE tatsächlich den durchschlagenden Effekt auf Wachstum und Inflation haben kann. Viele Studien sprechen dagegen: QE scheint geeignet als eine Art Schockabsorber – aber nicht als Initialzündung für nachhaltiges Wachstum. Auf der anderen Seite aber ist die Liste der unerwünschten Nebeneffekte und langfristigen Risiken lang – nicht zuletzt für die Finanzmärkte. Wer sich den Höhenflug des Dax oder die Rekordtiefs bei den Renditen der Euro-Peripherie anschaut, der kommt schwer umhin festzustellen, dass mit QE das Risiko eines zu riskanten Anlageverhaltens und neuer Preisblasen stark zugenommen hat. Euphorie schlägt schnell in Überschwang um.Die EZB ist also gut beraten, ihren Kurs zu hinterfragen. Jetzt, nur einen Monat nach dem Start, mag es zu früh sein, über ein Ende von QE zu spekulieren. Da die rote Linie nun bedauerlicherweise einmal überschritten ist, könnte ein solcher Zickzackkurs mehr Schaden als Nutzen anrichten. Es macht Sinn, weitere Daten abzuwarten. Wenn der jüngste positive Trend beim Wachstum anhält und die Inflation schneller anzieht als gedacht, muss die EZB diese Debatte aber führen. Die Veröffentlichung der neuen EZB-Prognosen im Juni wäre in dem Fall ein guter Zeitpunkt. Ein erster Schritt wäre eine Drosselung der Käufe. Draghi selbst hat gesagt, dass die Ausweitung der EZB-Bilanz kein Selbstzweck sei. Das alles gilt zumindest dann, wenn es der EZB um die Inflation geht und nicht darum, Schwächen in der Eurozone zu übertünchen oder den Regierungen das Schuldenleben zu erleichtern.Natürlich wäre eine Drosselung nicht ohne Risiko und es bedürfte besonderen Fingerspitzengefühls. Die EZB mag sich auch als “gebranntes Kind” fühlen, weil die Zinserhöhungen 2008 und 2011 im Nachhinein wie schwere Fehler anmuten. Allerdings wäre es genauso ein Problem für die Reputation, wenn sie trotz stärker anziehender Inflation oder bei liquiditätsgetriebenen Übertreibungen einfach ein “Weiter so!” für QE ausgeben würde. Debatten, die EZB solle künftig höhere Inflationsraten als 2 % tolerieren, weil diese so lange so weit darunter lagen, sind in jedem Fall ein Irrweg. Als mahnendes Beispiel sollte der EZB zudem die US-Notenbank gelten. Ende der 1990er und Anfang der 2000er Jahre wurde sie dafür gefeiert, wie sie mittels expansiver Politik die US-Wirtschaft trotz LTCM-Pleite und Platzen der Dotcom-Blase auf Kurs gehalten hatte. Dass sie wohl zumindest mit das Fundament für eine schwere Finanzkrise legte, zeigte sich erst viele Jahre später. Vor einem solchen “dicken Ende” ist auch die EZB keineswegs gefeit.——–Von Mark SchrörsDie EZB verkauft ihre Staatsanleihekäufe bereits als großen Erfolg. Die jüngste Konjunkturerholung hat aber viele andere Gründe – und der EZB-Kurs ist riskant.——-