GASTBEITRAG

Das Ende des Dollar als Leitwährung

Börsen-Zeitung, 19.6.2019 Bis vor ein paar Jahren stand "Entdollarisierung" für die Bemühungen von Schwellenländern, im Inland weniger Dollar und mehr lokale Währungen zu verwenden, vor allem nach langen Phasen der Inflation. Heute wird er zunehmend...

Das Ende des Dollar als Leitwährung

Bis vor ein paar Jahren stand “Entdollarisierung” für die Bemühungen von Schwellenländern, im Inland weniger Dollar und mehr lokale Währungen zu verwenden, vor allem nach langen Phasen der Inflation. Heute wird er zunehmend in einem anderen Zusammenhang verwendet. Geprägt wurde die neue Bedeutung von der russischen Regierung, aber auch in politischen Diskussionen in China und Indien – und selbst in Europa steht Entdollarisierung heute eher für die Veränderung der weltweiten Währungsordnung, weg vom Dollar als Leitwährung und hin zu einem multipolaren System.Hauptgrund für die immer lauteren Rufe nach einer Entdollarisierung dürfte der zunehmende Einsatz von Wirtschaftssanktionen seit US-Präsident Donald Trumps Amtsantritt sein. Deshalb überrascht es kaum, wenn ein US-Rivale wie Russland Währungsreserven in Höhe von 100 Mrd. Dollar in Renminbi, Euro und Yen eintauscht – so geschehen im vergangenen Jahr. Schwerwiegender ist es, wenn auch traditionelle Verbündete wie Großbritannien, Frankreich und Deutschland Wege suchen, um den Dollar zu umgehen. Mit Instex gründeten diese drei Länder Anfang 2019 eine Zweckgesellschaft, um Zahlungen an den Iran zu ermöglichen. Und als wolle er die wachsenden Zweifel an der aktuellen Währungsordnung unterstreichen, sagte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker in seiner letzten Rede zur Lage der Europäischen Union: “Es ist absurd, dass europäische Unternehmen europäische Flugzeuge in Dollar statt in Euro bezahlen”.Unterdessen hat sich die seit langem bestehende und wachsende strategische Rivalität zwischen den USA und China verschärft. Die im vergangenen Jahr in Schanghai eingeführten Petro-Yuan-Futures haben schon jetzt ein höheres Volumen als die Benchmarks aus Singapur und Dubai. Dies ist nicht zuletzt deshalb so bemerkenswert, weil die Rohstoffmärkte seit dem Ölkompromiss zwischen Saudi-Arabien und den USA Anfang der 1970er Jahre ein wichtiger Schauplatz im Kampf um die weltweite Währungsdominanz sind. Das Petrodollar-Recycling festigte die auf dem US-Dollar basierende internationale Währungsordnung. Heute akzeptieren Ölförderer aus Russland, dem Iran und Venezuela allmählich den Yuan als Zahlungsmittel. Wenn sich Saudi-Arabien ihnen anschließt, könnte dies erhebliche Folgen haben.Unterdessen wird in den USA die Schieferölrevolution unvermindert vorangetrieben. Seit 2010 ist die Ölförderung in den USA fast ununterbrochen gestiegen, und seit Ende 2018 sind die Vereinigten Staaten der weltweit größte Rohölproduzent. Bis 2025 dürften sie mehr Öl fördern als Saudi-Arabien, der zurzeit größte Ölexporteur der Welt. Bisher hat diese Verschiebung zu einem Rückgang der US-Ölimporte um 25 % geführt, aber in Zukunft wird noch weniger Öl importiert werden. Dabei fallen die rückläufigen Ölkäufe der USA mit steigenden Ölimporten Chinas zusammen. Die Chancen steigen, dass Ölexporteure andere Währungen akzeptieren.Hinzu kommen strukturelle demografische Veränderungen in China, durch die der Yuan früher oder später internationalisiert werden muss. Die chinesische Erwerbspersonenzahl hatte 2016 ihren Höhepunkt erreicht und wird weiter zurückgehen. Das ist bekannt. Weniger bekannt sind hingegen Analysen, nach denen die Hälfte des Anstiegs der Ersparnisse chinesischer Haushalte seit den 1970er Jahren auf den demografischen Wandel zurückzuführen ist. Nach Einschätzung des Internationalen Währungsfonds hätte China ohne staatliche Interventionen selbst heute noch ein Leistungsbilanzdefizit. In Zukunft wird der Rückgang der privaten Ersparnisse die Leistungsbilanz belasten. Zweifellos würde sich China lieber in seiner eigenen Währung verschulden als auf ewig Fremdwährungsanleihen zu emittieren. Das ist einer der Gründe, warum China versucht, den Yuan zu internationalisieren. Bedrohung DoppeldefizitUnd als ob das alles nicht schon genug wäre, kommen jetzt Bedenken wegen des Doppeldefizits der USA auf – als konjunkturelle Komponente dieses langfristigen Themas. Angesichts der neuen politischen Frontenbildung in den USA mit extrem rechten und jetzt auch immer mehr extrem linken Positionen ist auf absehbare Zeit mit einem Haushaltsdefizit zu rechnen, eine Folge von Steuersenkungen und höheren Sozialausgaben. Nach den Prognosen des Congressional Budget Office werden die US-Schulden bis 2048 auf 152 % der Wirtschaftsleistung steigen. Heute liegen sie bei 78 %. Nachdem der Dollar in sechs der letzten sieben Jahre aufgewertet hat, steht er gemessen an einigen Kennzahlen jetzt kurz vor einem Abwertungszyklus. Dies fördert in der Regel die Akzeptanz anderer Währungen. Das US-Doppeldefizit ist ein guter Frühindikator für eine Dollar-Schwäche. Zurzeit signalisiert es für die nächsten zwei Jahre Abwertungen des realen effektiven Wechselkurses im zweistelligen Prozentbereich.Große Wechselkursbewegungen gibt es nur hin und wieder, kommen dann aber oft unerwartet schnell. In den 1930er Jahren haben Währungen von Ländern außerhalb des Goldstandards innerhalb von drei bis fünf Jahren um 20 bis 40 % abgewertet. Die britische Währung befand sich bis in die 1970er Jahre in einem postkolonialen Wachkoma. Damals bestanden noch immer knapp ein Drittel der weltweiten Währungsreserven aus Pfund Sterling. Nach zehn turbulenten Jahren war dieser Anteil unter 5 % zurückgegangen. Sogar der Dollar verlor von 1971 bis 1978 fast die Hälfte seines Werts gegenüber der D-Mark. Fremdwährungen waren gegenüber dem Dollar so teuer geworden, dass die in Deutschland stationierten US-Soldaten Ende der 1970er Jahre Care-Pakete von den Deutschen erhielten.Das alles bedeutet nicht, dass der Dollar nicht noch eine ganze Weile eine wichtige, wenn nicht die wichtigste internationale Währung bleibt. Schließlich spricht man bereits seit den 1970er Jahren immer wieder von einer Abkehr vom Dollar. Ein wenig erinnert das an den Ausspruch des Historikers AJP Taylor, der die Revolution von 1848 eine Revolution nannte, die nichts revolutionierte. Auch an den Währungsmärkten hat sich wenig verändert – trotz steigenden Doppeldefizits, turbulenter Innenpolitik und denkwürdiger Außenpolitik der USA. Man hat sich an den Dollar gewöhnt und setzt ihn entsprechend ein. Großer Einfluss auf MärkteAber der kommende Marktzyklus dürfte anders sein – aus den genannten Gründen. Unabhängig davon, für wie wahrscheinlich man eine Entdollarisierung halten mag: Die Entstehung einer wirklich multipolaren Welt wird erheblichen Einfluss auf die Märkte haben und fast alle Assetklassen betreffen. Nach sieben Jahren Dollar-Aufwertung sollten Investoren nicht vergessen, dass der sich anbahnende Wandel von Dauer sein könnte – und nicht nur eine Folge der Konjunktur. Philip Saunders, Co-Head Multi Asset bei Investec Asset Management