NOTIERT IN FRANKFURT

Das Ende des Flurfunks

Seit heute Vormittag weiß ich, dass wir uns langsam wieder auf dem Weg in die alte Normalität vor Corona befinden. Denn heute hat mir zum ersten Mal seit Monaten wieder einer, dem es in der Schlange an der Kasse nicht schnell genug voranging, seinen...

Das Ende des Flurfunks

Seit heute Vormittag weiß ich, dass wir uns langsam wieder auf dem Weg in die alte Normalität vor Corona befinden. Denn heute hat mir zum ersten Mal seit Monaten wieder einer, dem es in der Schlange an der Kasse nicht schnell genug voranging, seinen Einkaufswagen in die Fersen geschoben. Eben so, wie es vor Corona in deutschen Supermärkten üblich gewesen ist. Die Zeit der Einhaltung von Abstandsregeln neigt sich allem Anschein nach ihrem Ende zu.Auch in den wiedereröffneten Schwimmbädern kommen sich die Menschen wieder etwas näher. Zwar gibt es klare Verkehrsregeln für die Bahnen im Becken. Aber es gibt natürlich auch im Pool wieder die Schlaumeier, die sich darum nicht scheren – und durch stures Rückenschwimmen alle anderen zum Ausweichen zwingen. Selbst Ballett wird in Frankfurt wieder vor Zuschauern getanzt, oder besser gesagt: performt. Unter dem Titel “Selflessness” präsentierte die Dresden Frankfurt Dance Company jüngst lebende Skulpturen – wobei sich in diesem Falle die Zuschauer um die Tänzer herumbewegen.Alles also auf dem Weg zurück in die alte Normalität? Mitnichten. Corona hat, wenn nicht alles, so doch vieles verändert. Und selbst wenn nun wieder mehr Kollegen ins Büro zurückkehren, finden doch noch eine Mehrzahl der Sitzungen, Konferenzen und Treffen in der virtuellen Welt statt – und nicht im Real Life.Das hat Vor- und Nachteile. So ist bemerkenswert, dass die Teilnehmer von elektronischen Veranstaltungen schneller zur Sache kommen. Wer sich virtuell trifft, verzichtet gemeinhin auf den üblichen Small Talk zur Begrüßung – sei es aus Angst, die Verbindung könnte abbrechen, oder aus Sorge, die Zuschauer könnten das Meeting verlassen. Auch hat sich die Länge der Keynote-Vorträge beim Übergang zu Zoom, Teams & Co. merklich verkürzt. Mit Blick auf die Minuten, die der Festredner im Webinar für sich beansprucht, gilt: 20 ist das neue 45! Langatmige Einlassungen, die als “Impulsvortrag” angekündigt wurden und sich dann doch als Versuch entpuppten, die Geschichte der Menschheit zusammenzufassen, sind Vergangenheit.Auch interne Zusammenkünfte, etwa Abteilungskonferenzen, laufen straffer ab, wenn sie in elektronischer Form abgehalten werden. Dabei ist durchaus eine gewisse Zurückhaltung der Teilnehmer festzustellen – schließlich kann man ja nie ganz sicher sein, wer letztlich alles zugeschaltet ist. Und da man sich zuvor ja auch nicht zufällig im Flur über den Weg gelaufen ist, hat man ohnehin weniger Gelegenheiten gehabt, Gerüchte auszutauschen, Geheimnisse durchzustecken oder sich der Rückendeckung der Kollegen zu versichern.Noch ist es freilich viel zu früh, zu beurteilen, ob es gut oder schlecht ist, dass der Flurfunk derzeit entfällt oder zumindest stark eingeschränkt ist. Denn bekanntlich finden Verständigungen und Kompromisse häufiger in den fünf Minuten vor oder nach einer Sitzung statt – wie es in den Nachrichtenagenturen genannt wird: “am Rande eines Treffens”. Und für diesen “Rand” ist in der Konferenz im Web bisher noch kein Platz.