EUROPEAN BANKING CONGRESS

Das europäische Fundament zerbröselt

Von Stephan Lorz, Frankfurt Börsen-Zeitung, 19.11.2016 Die Zukunft der Eurozone und der EU hängen am seidenen Faden: Nach dem Brexit-Votum der Briten droht im Dezember dem italienischen Ministerpräsidenten Matteo Renzi beim Referendum über eine...

Das europäische Fundament zerbröselt

Von Stephan Lorz, FrankfurtDie Zukunft der Eurozone und der EU hängen am seidenen Faden: Nach dem Brexit-Votum der Briten droht im Dezember dem italienischen Ministerpräsidenten Matteo Renzi beim Referendum über eine Verfassungsreform eine Niederlage, und im kommenden Jahr werden der Populistin Marine Le Pen durchaus Chancen bei der Präsidentschaftswahl in Frankreich eingeräumt. Erlebt Europa also schon bald seinen Trump-Moment wie viele Amerikaner, die jetzt auf die Straße gehen und gegen den Wahlausgang protestieren? Und wird die Europäische Union (EU) dann an ihrer ökonomischen Heterogenität und politischen Zerrissenheit zerbrechen?Schon seit längerem hat die EU – und mit ihr auch die Eurozone – keinen guten Leumund in der Bevölkerung. Das macht viele Ökonomen Sorgen, weil sie in der Staatengemeinschaft eigentlich die Antwort auf Globalisierung und den internationalen Herausforderungen etwa in der Klima- und Sicherheitspolitik sehen. Schien es zu Beginn der Eurozone noch so aus, dass die Staaten sich im Gleichschritt mit den Integrationsstufen auch ökonomisch aufeinander zubewegten, geht es seit einiger Zeit retour. Auch den Vorstandschef der Deutschen Bank, John Cryan, treibt das um. Auf dem European Banking Congress (EBC) warnt er vor den immer stärker auftretenden ökonomischen Divergenzen und der immer mehr zutage tretenden politischen Uneinigkeit.Letztlich fehlt den Akteuren in der Union offenbar das Einvernehmen, auf welches gemeinschaftliche Ziel sie eigentlich hinarbeiten. Dieses Vakuum zerstört das Grundvertrauen der Bürger in die EU. Seit dem Brexit-Votum hat Brüssel zudem eine Art Torschlusspanik erfasst. Um bei ihren Adressaten und Bürgern zu punkten, suchen sich die EU-Kommission und jede der EU-Regierungen jene Aspekte aus dem EU-Menüplan heraus, bei denen sie selber besonders gut dastehen, und wo andere Nachholbedarf haben, wie der Chef der Euro-Arbeitsgruppe in Brüssel, Thomas Wieser, beklagt. Diese Kakofonie setze sich in den Köpfen der Europäer fest, was sie in ihrer Meinung bestärke, dass Europa nicht die Lösung, sondern das Problem sei.Eigentlich ist in einer solchen Situation Selbstbesinnung angesagt. Was muss an der Architektur der EU verändert werden, um auf die Bevölkerung wieder attraktiv zu wirken. Gibt Brüssel dann auch noch einige Rechte an die Nationalstaaten zurück wegen des nach wie vor geltenden Subsidiaritätsprinzips, würde sie womöglich sogar wieder an Glaubwürdigkeit und Vertrauen zurückgewinnen. Denn in erster Linie, so der Frankfurter Finanzwissenschaftler Volker Wieland, gebe die EU ein so schlechtes Bild ab, weil sie – wie die Verwicklungen beim Handelsabkommen Ceta gezeigt haben – wegen ihrer Komplexität politisch kaum mehr handhabbar ist. Wieser schlägt die Bildung von EU-Integrationskreisen für einzelne Politikbereiche vor. Dort könnte die Integration schneller voranschreiten, weil darin die Homogenität auch viel größer wäre als in der Gesamtheit.Stattdessen flüchten sich die EU-Bürokraten und einige nationale Politiker aber wieder einmal in neue schuldenfinanzierte Ausgabenprogramme. Sie könnten die Probleme zwar kurzfristig verdecken, weil das Wachstum etwas höher ausfällt, die Defizite der Staaten aber würden steigen – und die Bestimmungen des Stabilitätspakts erneut verletzt. Dabei seien die strukturellen Probleme etwa in Italien, so der Wirtschaftsweise Wieland, nun mal nicht fiskalpolitisch zu lösen, sondern nur mit Strukturreformen. Zumal ein reiner Fiskalstimulus die Divergenzen sogar noch vergrößern würde.Zudem: Wie sollen Bürger überhaupt Vertrauen in eine Institution fassen, wenn diese nicht einmal jene Regeln ernst nimmt, die sie sich selber gegeben hat, warnt Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble mit Blick auf den Stabilitätspakt. Der mehrfache Regelbruch sei keine Basis, auf der man bauen könne. ——–Der European Banking Congress befasste sich mit dem Thema “Rebooting Europe”——-