LEITARTIKEL

Das Franken-Experiment

Der 15. Januar 2015 ist ein Datum, das in den nächsten Jahrzehnten in keiner Schweizer Wirtschaftschronik mehr fehlen wird. Das war der Tag, an dem die Schweizerische Nationalbank (SNB) den Euro-Mindestkurs von 1,20 sfr fallen ließ, nachdem sie ihn...

Das Franken-Experiment

Der 15. Januar 2015 ist ein Datum, das in den nächsten Jahrzehnten in keiner Schweizer Wirtschaftschronik mehr fehlen wird. Das war der Tag, an dem die Schweizerische Nationalbank (SNB) den Euro-Mindestkurs von 1,20 sfr fallen ließ, nachdem sie ihn fast dreieinhalb Jahre lang mit beträchtlichem finanziellen Aufwand durchgesetzt hatte. Die abrupte Politikänderung ging einher mit einer schlagartigen Aufwertung der helvetischen Valuta und einer Halbierung des Wirtschaftswachstums von 2,4 % im Jahr 2014 auf nur mehr 1,2 % im Folgejahr.Erst in den vergangenen Monaten begannen sich die Zeichen zu verdichten, dass das Alpenland im Begriff ist, den Franken-Schock von Anfang 2015 zu überwinden. Nachdem das Bruttoinlandsprodukt 2017 nur um rund 1 % zugenommen haben dürfte und die Schweiz damit selbst hinter notorisch wachstumsschwache Länder in der Eurozone wie Italien zurückgefallen ist, erwarten die Auguren im laufenden Jahr wieder eine Expansionsrate von 2 % oder mehr.Hilfreich für die Erholung war nebst der guten internationalen Konjunkturentwicklung auch die in der Schweiz sehnlichst erwartete Rückkehr des Investorenvertrauens in den Euro. Diese setzte im Frühjahr 2017 mit dem Sieg von Emmanuel Macron bei der französischen Präsidentschaftswahl ein. Die seither stetige Aufwertung der Gemeinschaftswährung verschafft der Schweizer Exportindustrie dringend benötigten Spielraum. Rund ein Drittel der Industriebetriebe operierte in den Jahren nach dem Franken-Schock mit minimalen Gewinnmargen – oder fuhr sogar Verluste ein. Zahlreiche Unternehmen verlagerten Arbeitsplätze direkt ins Ausland oder beschafften sich Vorprodukte vermehrt jenseits der Grenzen.Während die Kritiker des Nationalbank-Entscheides einen vermeidbaren Schaden in Form Zehntausender unwiederbringlich verloren gegangener Industriearbeitsplätze anprangern, sehen sich die Befürworter durch die nun eintretende wirtschaftliche Erholung bestätigt. Sie glauben, dass der in der Schweizer Wirtschaft permanent ablaufende und vom notorisch hohen Franken-Kurs in Schuss gehaltene Strukturbereinigungsprozess durch die Vorgänge in den vergangenen drei Jahren lediglich beschleunigt wurde.Unbestritten ist, dass sich die Nationalbank nach dem Verzicht auf die weitere Verteidigung der Kursuntergrenze nicht aus dem Devisenmarkt verabschieden konnte. Um Schlimmeres in der Industrie und auf dem Arbeitsmarkt zu verhindern, intervenierte sie auch nach dem Kurswechsel oft und teilweise mit großem Einsatz gegen die zeitweise massive Überbewertung des Franken. Als Folge davon ist die Bilanzsumme der SNB in den vergangenen drei Jahren um weitere 50 % auf rund 830 Mrd. sfr geklettert.In der gleichen Zeit ist der Euro-Kurs auf ein Niveau nahe 1,18 sfr zurückgekehrt. Stellt man die klar negative Inflationsdifferenz zwischen der EU und der Schweiz in Rechnung, dürfte die relative Bewertung des Franken heute nicht mehr höher sein als vor dem 15. Januar 2015. Dementsprechend intensiv wird dieser Tage in der Schweiz diskutiert, ob dieser Rundlauf nicht billiger zu haben gewesen wäre.Drei Jahre nach dem Franken-Schock sieht in der Tat vieles so aus, als wäre die Zäsur für die Schweizer Wirtschaft für die Katz gewesen. Doch abgesehen davon, dass man das wahre Ergebnis dieser hypothetischen Rechnung nie kennen wird, ist sie auch nicht vollständig. Mit dem Entscheid, die Euro-Untergrenze aufzugeben, hat die Nationalbank nicht zuletzt ihr eigenes Vertrauenskapital vermehrt. Sie hat den politisch höchst umstrittenen Entscheid allein getroffen und damit ihre politische Unabhängigkeit unter Beweis gestellt. Die SNB hat seit 2015 einiges von der Glaubwürdigkeit zurückgewonnen, die sie in den Anfängen der Euro-Krise mit ihren ersten großen und doch ergebnislosen Interventionen gegen die unkontrollierte Franken-Aufwertung verloren hatte.Mit der Normalisierung des Wechselkurses ist die Geschichte noch lange nicht abgeschlossen. Die riesige SNB-Bilanz produziert nun Gewinne und manchmal auch Verluste von einer Dimension, welche eher früher als später die nationale, dereinst vielleicht sogar die internationale Politik auf den Plan rufen könnte. Solange die SNB mit dieser Bilanz weiter operiert, bleibt sie dem Risiko politischer Einflussnahmen ausgesetzt. Das Franken-Experiment wird weitergehen, bis ein Rückbau der Bilanz trotz des Wechselkursdilemmas möglich wird. Das kann noch sehr lange dauern.——–Von Daniel ZulaufDie Schweizerische Nationalbank hat mit der Aufgabe der Euro-Untergrenze Glaubwürdigkeit zurückgewonnen. Aber die Geschichte ist noch lange nicht abgeschlossen.——-