LEITARTIKEL

Das große Loch

Noch ist es nicht offiziell, aber die finanzielle Lage des Bundes ist angespannter als noch vor sieben Wochen angenommen. Ende März, kurz nach Ausbruch der Corona-Pandemie hierzulande, billigte der Bundestag einen Nachtragshaushalt für 2020 über 156...

Das große Loch

Noch ist es nicht offiziell, aber die finanzielle Lage des Bundes ist angespannter als noch vor sieben Wochen angenommen. Ende März, kurz nach Ausbruch der Corona-Pandemie hierzulande, billigte der Bundestag einen Nachtragshaushalt für 2020 über 156 Mrd. Euro – fast die Hälfte des regulären Etats. Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) konnte zu diesem Zeitpunkt nur über den Daumen peilen, welche finanzielle Größenordnung plausibel ist, um die Bürger und die Wirtschaft mit Staatshilfe möglichst sicher durch die Coronakrise zu steuern. Kalkuliert sind 122,5 Mrd. Euro für zusätzliche Ausgaben des Bundes in der Krise und 33,5 Mrd. Euro für Ausfälle bei seinen Steuereinnahmen. Diese Woche werden die Steuerschätzer mehr Licht ins Dunkel bringen.Die bisher unterstellten Einnahmeausfälle beruhen bislang auf einer schlichten Faustformel aus dem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts (BIP) und der Steuerquote – also den Steuereinnahmen bezogen auf das BIP. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) geht in der Frühjahrsprojektion inzwischen von pessimistischeren Zahlen für den Einbruch der Wirtschaft hierzulande aus als beim Nachtragshaushalt unterstellt. Für die Steuerschätzer ist dies die Grundlage. Schon jetzt zeichnet sich deshalb ab, dass die Ausfälle größer sind als erwartet. Auf rund 816 Mrd. Euro taxierten die Schätzer noch Ende Oktober 2019 die Gesamteinnahmen 2020 für Bund, Länder und Gemeinden. Rund 40 % entfallen davon jeweils auf Bund und Länder, rund 14 % auf die Gemeinden und knapp 5 % auf die EU. Haushälter im Bundestag befürchten, dass die Steuerschätzer nun zum Ergebnis kommen, dass in diesem Jahr rund 100 Mrd. Euro weniger an den Fiskus fließen werden. Bis 2024 – so weit reicht die Steuerschätzung – summieren sich die Ausfälle Jahr für Jahr gegenüber der Oktoberprognose bis auf 300 Mrd. Euro. In den nächsten Jahren schrumpft die Lücke.Schon allein mit dieser Annahme sind die Steuerausfälle beim Bund um 7 Mrd. Euro höher als bisher geplant. Nicht berücksichtigt hatten die Schätzer im Oktober die teilweise Abschaffung des Solidaritätszuschlags für 90 % der Solizahler. Den Bund kostet dies im Jahr die Hälfte des Soliaufkommens oder rund 10 Mrd. Euro. Die Schätzer nehmen Steuerrechtsänderungen erst auf, wenn sie Rechtskraft erlangt haben. Die Haushaltsabteilung im Bundesfinanzministerium berücksichtigt dies in ihrem Rechenwerk allerdings frühzeitig. Die Neutaxierung der Steuereinnahmen trifft Städte und Gemeinden besonders hart. Knapp die Hälfte ihres Aufkommens stammt aus der konjunkturabhängigen Gewerbesteuer. Diese wird besonders stark einbrechen, auch weil die Unternehmen als Liquiditätshilfe Steuervorauszahlungen kürzen und begrenzt Verluste rückwirkend verrechnen dürfen. Dasselbe gilt für die Körperschaftsteuer, die sich Bund und Länder teilen. Besonders starke Einbußen wird es zudem bei aufkommenstarken Steuern geben: bei der Lohnsteuer wegen der Kurzarbeit und bei der Umsatzsteuer wegen des schwachen Konsums in der Krise.Weitere Unwägbarkeiten lassen den Etat wackeln. Offen ist, wie weit die Rücklagen in den Sozialversicherungen reichen – besonders für Arbeitslosigkeit und Gesundheit. Nicht entschieden ist über das Konjunkturprogramm, das die Bundesregierung Anfang Juni fixieren will. Scholz hat Kunst und Kultur, dem Hotel- und Gaststättengewerbe und den Kommunen Hoffnung auf Hilfe gemacht. Andere Wünsche für das Konjunkturprogramm werden bereits laut: Die Autoindustrie baut nicht ganz zu Unrecht auf Kaufprämien. Carsten Linnemann (CDU) fordert im Namen des Wirtschaftsflügels der Union ein zweites Rettungspaket für Unternehmen. Es soll vor allem die Verlustverrechnungsmöglichkeit mit Gewinn aus den Vorjahren auch für größere Unternehmen öffnen und weiter zurückreichen. Die SPD-Spitze hat weitere Sozialausgaben für Eltern im Visier.——Von Angela Wefers Die Steuerschätzer werden bittere Zahlen präsentieren. Bei weiteren Ausgaben muss der Bund die Tragfähigkeit seiner Finanzen bewahren.——