IM BLICKFELD

Das große Rätselraten um den britischen Brexit-Kurs

Von Andreas Heitker, Brüssel Börsen-Zeitung, 29.8.2017 Vor zwei Wochen schien es für eine kurze Zeit so, als habe die britische Regierung ihre destruktive Haltung in den Brexit-Gesprächen aufgegeben. Ein Positionspapier nach dem anderen wurde...

Das große Rätselraten um den britischen Brexit-Kurs

Von Andreas Heitker, BrüsselVor zwei Wochen schien es für eine kurze Zeit so, als habe die britische Regierung ihre destruktive Haltung in den Brexit-Gesprächen aufgegeben. Ein Positionspapier nach dem anderen wurde seither veröffentlicht. Es ging um eine künftige Zollunion, um die irisch-nordirische Grenzsituation, um Handelsbeziehungen, Datenschutz, Justizfragen und zuletzt auch um das Thema Atommüll. Nach Lektüre und erster Analyse hat sich in Brüssel dann aber sehr schnell Ernüchterung breitgemacht. Kaum bis gar keine konkreten Lösungsansätze für die aktuellen Verhandlungen wurden von den EU-Beamten ausgemacht. Dritte VerhandlungsrundeMit Sorge wurde zudem wahrgenommen, dass der nordirische Friedensprozess offenbar mit den künftigen Handelsbeziehungen verknüpft werden soll. Eine Positionierung zur Abschlussrechnung, in der Brüssel Forderungen von bis zu 100 Mrd. Euro aufrufen will, fehlt dagegen noch immer. Im EU-Parlament hält man die Positionspapiere für “unausgereift”. In Sachen Brexit herrsche in der britischen Regierung mittlerweile “ein nicht geringes Chaos”, erklärte der SPD-Abgeordnete Jo Leinen. “Die britische Regierung schmeißt Nebelkerzen und spielt weiterhin auf Zeit, obwohl sie keine Zeit hat.”In der deutschen Wirtschaft wächst mittlerweile der Unmut, dass auch fünf Monate nach Einreichen des Austrittsbegehrens noch keinerlei Planungssicherheit für die Nach-Brexit-Zeit absehbar ist. Die Positionspapiere aus London, so heißt es beim Bundesverband Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA), ließen starke Zweifel aufkommen, ob sich die britische Seite hinsichtlich der Komplexität der bilateralen Verflechtungen klar sei. Auch scheine London die Stärke der eigenen Verhandlungsposition zu überschätzen.Andere Verbände blasen ins gleiche Horn. Die deutschen Maschinenbauer kritisierten bereits, in den Positionspapieren der Briten gebe es kaum Mehrwert für die laufende Phase der Verhandlungen. Und der Bundesverband der Deutschen Industrie monierte, die britischen Vorschläge zur Zollabwicklung seien mit unverhältnismäßig hohem, bürokratischem Aufwand verbunden. “Diese Ideen sind für Unternehmen praxisfern.”Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) und die British Chambers of Commerce (BCC) sahen sich deshalb jetzt sogar zu einem gemeinsamen Appell genötigt, die Brexit-Gespräche doch auf die ökonomischen Interessen der Unternehmen auszurichten. Vor allem in Zollfragen müsse es dringend Fortschritte geben. Es bestehe die Gefahr neuer Handelsbarrieren: zusätzliche Bürokratie, verbunden mit zusätzlicher Wartezeit durch Kontrollen an den Grenzen und damit zusätzliche Kosten. “Die Bedingungen des Austritts sind noch völlig unklar”, so DIHK-Hauptgeschäftsführer Martin Wansleben. “Viele unserer Mitglieder haben bereits Investitionen von UK verlagert.”Dass der Brexit Umsatz, Wirtschaftskraft und Arbeitsplätze kosten wird – sowohl in Großbritannien, aber auch in der EU 27 -, haben bereits viele Studien gezeigt. In Großbritannien wird er zwar am stärksten zu spüren sein – aber auch hier kommt es auf die genaue Ausgestaltung des Austritts an (siehe Grafik). Ein harter Brexit, so hat zuletzt eine in der vergangenen Woche vom Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW) veröffentlichte Studie gezeigt, würde aber auch die weit verzweigten Lieferketten deutscher Schlüsselindustrien treffen.Gestern begann in Brüssel die dritte Brexit-Verhandlungsrunde. Gerade einmal drei Minuten dauerten die Eröffnungsstatements. EU-Verhandlungsführer Michel Barnier war dabei sehr deutlich und forderte endlich klare Positionierungen von seinem Gegenüber David Davis. “Wir müssen damit beginnen, seriös zu verhandeln.” Und je früher man die Mehrdeutigkeiten beiseiteräumen könne, je früher könne man auch über die künftigen Beziehungen und Übergangsphasen reden. Von einer von Davis geforderten größeren “Flexibilität” in den Gesprächen wollte Barnier nichts wissen.Mit Interesse dürfte der Franzose aber wohl die jüngsten Meldungen aus Großbritannien verfolgt haben, wonach die oppositionelle Labour Party die Regierung von Theresa May nun mit Forderungen nach einem weichen Brexit unter Druck setzt. Labour fordert eine Übergangsperiode, in der grundlegende Regeln in den EU-Beziehungen weiter gelten sollen, und sieht sich in dieser Haltung von Wirtschaft und Gewerkschaften unterstützt. Der britische Politologe Anthony Glees sagte gestern im Deutschlandfunk, es könne jeden Tag zur Neuwahl kommen.