Max Zenglein

„Das ist der chinesische Traum“

Die EU hat China wirtschaftliche Zugeständnisse abgerungen, sagt Max Zenglein, Chefökonom des Mercator Institute for China Studies – doch den politischen Preis für den Erfolg hält er für zu hoch.

„Das ist der chinesische Traum“

Stefan Paravicini.

Herr Zenglein, die Europäische Union und China haben nach sieben Jahren doch noch ein Investitionsabkommen abgeschlossen. Haben sich die langen Verhandlungen gelohnt?

Das Abkommen ist ein erster Schritt, einige Themen werden in den nächsten zwei Jahren weiter diskutiert, es ist also nicht das Comprehensive Investment Agreement, das der Name verspricht. Dass das Abkommen nicht in einem Guss abgeschlossen wird, sondern phasenweise, war eine meiner größten Sorgen.

Ein Misserfolg für die EU?

China hat sicherlich ein paar wirtschaftliche Konzessionen gemacht. Ich denke, diesen Erfolg stellt die EU zu Recht so dar. Man hat den Marktzugang verbessert, und Staatsbetriebe werden zu mehr Marktdisziplin verpflichtet. Es gibt mehr Transparenz bei Subventionen. Alles wunderbar. Diese Erfolge kommen aber zu einem hohen politischen Preis.

Inwiefern?

China ist aus meiner Sicht gut mit seiner bewährten Strategie im Umgang mit Europa gefahren. So wurden etwa ein paar Zugeständnisse gemacht, um Entgegenkommen zu signalisieren. Die meisten dieser Konzessionen sind jedoch Zusagen, die schon lange im Raum standen und jetzt festgezurrt werden. Das Ganze hat man mit ein paar Versprechen für die Zukunft aufgepeppt. Man kann argumentieren, dass mehr einfach nicht drin war. Dann frage ich mich aber, was sich geändert hätte, wenn dieses Abkommen jetzt nicht zustande gekommen wäre und man China signalisiert hätte, dass die Behandlung der Themen, die nun wieder aufgeschoben werden, für einen Abschluss Voraussetzung sind. Dann hätte man den Hebel angesetzt. Diese Chance hat die EU vertan.

Und der politische Preis?

Man krönt das Jahr 2020 mit diesem Handelsabkommen, ungeachtet der vielen nichtwirtschaftlichen Konflikte mit China. Die Lage der Uiguren, das Thema Hongkong und so weiter. Mit dem Abkommen signalisiert man China, dass das alles keine Konsequenzen hat und es einfach ist, mit minimalen Zugeständnissen ein Abkommen mit Europa zu schließen. Das wird auch Implikationen haben, wie China die EU sieht. Im Gegenzug für das, was man bekommen hat, halte ich das für einen zu hohen Preis. Das Abkommen zeigt, wie wenig China bereit ist, sich auf einen wichtigen Partner zuzubewegen. Die EU ist in der Position eines Bittstellers, und das halte ich nicht für angemessen.

Hatte es die EU am Ende zu eilig?

Mit dem Zeitpunkt des Abschlusses muss man sich beschäftigten. Kurz vor Ende der deutschen EU-Ratspräsidentschaft kam nun ein Abkommen zustande, das vor allem die Interessen deutscher Unternehmen verdeutlicht. Wobei ich mich auch hier frage, was sich für die Unternehmen ohne ein Abkommen verändert hätte. Einem Konzern wie VW gegenüber wurden in den vergangenen Monaten bereits Zugeständnisse gemacht. So konnte dieser Mehrheitsanteile an chinesischen Unternehmen übernehmen.

Was heißt das Abkommen für die transatlantischen Beziehungen?

Die EU musste nicht auf einen Regierungswechsel in Washington warten, um Entscheidungen zu treffen. Die EU kann sich auch nicht den Luxus leisten, erst einmal zu warten, was jetzt in Washington passiert. Ich halte es für essenziell, dass Europa eine eigene China-Politik fährt, sonst wird die EU zwischen den USA und China zermahlen. Da muss man sich nichts vormachen, bei allem Wunschdenken, dass die transatlantischen Beziehungen wieder besser werden. Es gibt in der EU und in den USA außerdem unterschiedliche Interessen gegenüber China. Vor allem spielen die Beziehungen zwischen den Supermächten USA und China noch einmal in einer ganz anderen Liga, in der die EU nichts verloren hat.

Ist das Abkommen ein Geschenk zum 100. Gründungstag der Kommunistischen Partei Chinas?

Ich denke, man muss im Umgang mit China auch lernen, Nein zu sagen. In Europa herrscht immer noch die Meinung vor, von China lieber ein schlechtes Angebot anzunehmen als gar keines. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob dabei die aktuellen Entwicklungen in China immer angemessen berücksichtigt werden.

Zum Beispiel?

Was macht China in der Wirtschaftspolitik, und wie passt das zu den Zugeständnissen im Investitionsabkommen? China arbeitet verstärkt daran, die eigenen Staatsbetriebe effizienter zu machen und sie mehr Wettbewerb auszusetzen. Es gibt also starke Interessen innerhalb Chinas, hier Zugeständnisse zu machen. Das ist ein Reformprozess, der sich seit Jahren vollzieht. Vor zehn Jahren wäre ein Zugeständnis in Bezug auf den Umgang mit Staatsbetrieben in einem Abkommen bahnbrechend gewesen. Jetzt steht es drin, und das ist toll, aber es überlappt mit Reformbemühungen in China selbst. Das sehen wir auch bei anderen Themen wie etwa Forschung & Entwicklung. Man muss Zugeständnisse in Relation sehen zum Wert, den sie zum aktuellen Zeitpunkt noch haben.

Wie bewerten Sie die Sanktionsmechanismen im Abkommen?

Es ist davon auszugehen, dass am Ende bestenfalls zahnlose Durchsetzungsmechanismen stehen werden. Die EU hat nur limitierte Handhabe, gegenüber China vorzugehen, wenn es sich nicht an das Abkommen hält. China wird seinen Reformprozess im eigenen Tempo gehen und sich nicht unter Druck setzen lassen, in irgendeiner Form das eigene Wirtschaftssystem über den Haufen zu werfen.

Ist die Ankündigung, Menschenrechtsstandards anzuerkennen, mehr als ein Lippenbekenntnis?

Nein. Man würde die politischen Realitäten in China verkennen, wenn man dahinter mehr vermuten würde. Da ist wieder das gleiche Prinzip am Werk: Ein paar Konzessionen, garniert mit ein paar Versprechungen für die Zukunft, und schon ist man wieder in der Endlosschleife des Dialogs. Deshalb lieben die Chinesen den Umgang mit den Europäern so: Dass man immer wieder den Dialog sucht und, wenn ein Thema zu schwierig ist, vielleicht noch eine Arbeitsgruppe eröffnet. Das ist der chinesische Traum. Weil man nie auf den Tisch haut, weil es keine handfesten Konsequenzen gibt. Das ist leider ein großes Manko, an dem ich Deutschland eine Mitschuld gebe.

Warum?

Deutschlands wirtschaftliche Interessen in China sind ein Ausreißer innerhalb der EU. Man hat ja versucht, Frankreich noch an Bord zu holen. Aber insgesamt kommt das Abkommen doch sehr deutsch rüber.

Das Interview führte

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