Das Pfeifen der Präsidenten
Die Präsidenten der EU-Kommission und des Europäischen Rates, Jean-Claude Juncker und Donald Tusk, haben sich in den vergangenen Tagen erstaunlich optimistisch zu den weiteren Brexit-Verhandlungen geäußert. Trotz der Eiszeit, die seit dem Salzburg-Gipfel im September zwischen Brüssel und London herrscht, halten beide in wenigen Wochen eine Einigung für möglich. Ist das nur ein Pfeifen im Walde im Vorfeld des entscheidenden EU-Gipfels nächste Woche? Nicht ganz. Denn seit dem Parteitag der britischen Konservativen hat es im Hintergrund ermutigende Signale einer Annäherung gegeben.Dass die Fronten bis zum Treffen der Tories starr bleiben würden, war klar gewesen. Aber jetzt, so erhofft man sich in Brüssel, hat die britische Premierministerin Theresa May genügend Beinfreiheit, um weitere Schritte auf die EU zugehen zu können. Ob sie das auch tut, wird sich zeigen. Auf jeden Fall ist erst jetzt die entscheidende Phase im Austrittspoker angebrochen, in der beide Seiten ihre Karten auf den Tisch legen müssen.Auf dem EU-Gipfel in der nächsten Woche, den Tusk bereits als “Augenblick der Wahrheit” bezeichnet hat, soll das Austrittsabkommen abgesegnet und eine politische Erklärung zu den künftigen Beziehungen zwischen Großbritannien und der EU verabschiedet werden. So sah es das Brexit-Protokoll von Anfang an vor. Beim Austrittsabkommen geht es neben einigen lösbar erscheinenden Punkten im Wesentlichen noch um die künftige Grenze auf der irischen Insel und damit einhergehend das Zollregime.In diesen Tagen sitzen einmal mehr die Chefunterhändler beider Seiten zusammen, um in dieser Frage die bisher unvereinbar geltenden Forderungen nach “territorialer Integrität” (GB) und “Integrität des Binnenmarktes” (EU) zusammenzubringen. Es hat aus London Signale der Kompromissbereitschaft gegeben. In dieser Woche könnten konkrete Vorschläge für eine partielle Zollunion folgen. Im Gegenzug wird Brüssel in dieser Woche konkrete Vorstellungen über das künftige Verhältnis veröffentlichen. Auch hier sind Zugeständnisse möglich.Nach den Worten von Juncker hat sich also “das Annäherungspotenzial zwischen beiden Seiten in den vergangenen Tagen vergrößert”. Ob dieses Potenzial genutzt wird, steht allerdings noch auf einem ganz anderen Blatt. Auch auf dem Salzburg-Gipfel im September haben sich die Regierungschefs der EU-27 in Sachen Brexit ja schon verzockt und mit ihrer harschen Strategie lediglich die britischen No-Deal-Verfechter gestärkt.