Das raten Top-Ökonomen der EZB
Was Top-Ökonomen
der EZB raten
Lindner-Berater Feld: Der Leitzins muss steigen –
Wirtschaftsweise Schnitzer: Die Inflation ist zu hoch
Die EZB steckt in einem Dilemma aus weiter zu hoher Inflation einerseits und zunehmenden Rezessionsängsten andererseits. Der Ausgang der wegweisenden Zinssitzung am Donnerstag ist deshalb komplett offen – was so sehr ungewöhnlich ist. Die Börsen-Zeitung hat führende Ökonomen und Geldpolitikexperten befragt.
Von Mark Schrörs, Frankfurt
Wenn sich die Euro-Notenbanker am Donnerstag im großen Sitzungssaal im 41. Stock des EZB-Hauptgebäudes im Frankfurter Ostend treffen, dürfte es hoch hergehen. Das haben zuletzt selbst Notenbanker eingeräumt. Als etwa der niederländische Zentralbankchef Klaas Knot vergangene Woche seine Warnung an die Märkte schickte, die Möglichkeit einer neuerlichen Zinserhöhung nicht zu unterschätzen, sagte er auch: „Sie (die Märkte) machen wahrscheinlich einen ähnlichen Kampf durch, wie wir ihn nächste Woche durchmachen müssen. Aber ich kann Ihnen versichern, dass es am Ende dieses Ringens eine Entscheidung geben wird."
Die große Frage, um die es am Donnerstag gehen wird, ist die, ob die Europäische Zentralbank (EZB) ihren Leitzins zum zehnten Mal in Folge anhebt oder erstmals seit Juli 2022 eine Pause einlegt. Seitdem hat sie ihre Leitzinsen um 425 Basispunkte angehoben und damit so aggressiv wie nie zuvor seit der Einführung des Euro im Jahr 1999. Die meisten Notenbanker haben sich jetzt bis zuletzt beide Optionen offengehalten – und die Beobachter sind nahezu gespalten: Die eine Hälfte erwartet eine Zinserhöhung, die andere nicht. In Zeiten, in denen Notenbanker anders als früher nicht mehr allzu gerne überraschen, ist das sehr ungewöhnlich.
Hintergrund für die ungewöhnliche Unklarheit ist das Dilemma, in dem die EZB derzeit steckt: Einerseits hat sich die Inflation zwar seit ihrem Rekordhoch von 10,6% im Oktober 2022 auf zuletzt 5,3% halbiert. Das liegt aber immer noch deutlich oberhalb des mittelfristigen EZB-Ziels von 2,0%, und auch die Kerninflation ohne Energie und Lebensmittel liegt mit 5,3% noch nahe ihres Rekordhochs aus dem Frühjahr. Andererseits schwächelt die Euro-Wirtschaft gehörig und die Warnungen vor einer Rezession nehmen zu. Die Stagflation, also der Gleichklang aus stagnierender Wirtschaft und hoher Inflation, ist längst mehr Realität denn Schreckensszenario.
Was also tun? Die Hardliner im EZB-Rat, die „Falken“, betonen eher die weiter zu hohe Inflation und die Risiken für die Teuerung. Sie sympathisieren deshalb mit weiteren Zinserhöhungen – auch um die Inflationserwartungen im Zaum zu halten. Die „Tauben“ dagegen betonen eher die Konjunkturschwäche und mahnen zur Vorsicht – zumal Geldpolitik zeitverzögert wirkt und die bisherigen Zinserhöhungen ihre volle Wirkung noch gar nicht entfaltet haben. Letztlich dreht sich der Streit auch um die Frage, ob es im aktuellen Umfeld besser ist, im Notfall zu stark zu straffen oder lieber ein bisschen zu wenig zu tun.
In den vergangenen knapp zwei Wochen hatten Marktteilnehmer ihre Zinserwartungen für September deutlich zurückgeschraubt. Hintergrund waren neben Aussagen von „Tauben“ insbesondere die Inflationsdaten für August. Auch wenn die Gesamtteuerung überraschend bei 5,3% stagniert hatte, ging die Kernrate weiter von 5,5% auf 5,3% zurück. Zeitweise war eine Zinserhöhung im September an den Geldmärkten nur noch mit 25% eingepreist – gegenüber rund 60% vor den Daten. Ende vergangener Woche hatten dann aber die „Falken“ die Möglichkeit einer erneuten Zinserhöhung betont (vgl. BZ vom 7. September).
Eine zweite Debatte dreht sich um die Bilanz des Eurosystems aus der EZB und den 20 nationalen Zentralbanken. Vor allem durch die beispiellosen Anleihekäufe in den Krisenjahren ist diese enorm angeschwollen. Zeitweise lag sie bei knapp 9 Bill. Euro. Inzwischen ist sie bereits merklich zurückgegangen, auf aktuell knapp 7,2 Bill. Euro (siehe Grafik). Das ist aber immer noch sehr hoch und die "Falken" dringen auf mehr Tempo – und rütteln an der bisherigen Zusage, beim Corona-Notfallanleihekaufprogramm PEPP bis mindestens Ende 2024 voll zu reinvestieren.
Über allem schwebt dabei die Frage, wie sich die Inflation mittel- und langfristig entwickeln wird. Viele Experten prognostizieren eine strukturell höhere Inflation, etwa durch De-Globalisierung und Klimaschutz. Einige empfehlen der EZB nicht zuletzt deshalb, ihr Inflationsziel von 2,0% anzuheben. Andere dagegen warnen sogar vor wieder disinflationären Trends und einer zu niedrigen Inflation. Die Unsicherheit ist jedenfalls immens.
Nachstehend die Links zu den Fragen und den jeweiligen Antworten der Ökonomen: