Brüssel

Das Reisen der Ehrenmänner und -frauen

Für Deutsche lohnt es sich, immer auch die Coronamaßnahmen in Belgien im Blick zu behalten. Nicht weil der Nachbar im Westen mit diesen so gut und vorbildlich durch die Pandemie gekommen wäre, sondern um frühzeitig zu erahnen, welche...

Das Reisen der Ehrenmänner und -frauen

Für Deutsche lohnt es sich, immer auch die Coronamaßnahmen in Belgien im Blick zu behalten. Nicht weil der Nachbar im Westen mit diesen so gut und vorbildlich durch die Pandemie gekommen wäre, sondern um frühzeitig zu erahnen, welche Beschränkungen auch in Deutschland noch zu erwarten sind. Denn die Coronalage in Belgien war lange Zeit viel dramatischer, und so musste die Regierung in Brüssel auch immer wieder aus reiner Not Beschlüsse fassen, die zu diesem Zeitpunkt in Deutschland noch gar kein Thema waren – die dann aber mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung auch in Berlin auf die Krisenagenda kamen. Lockdown? Maskenpflicht (auch auf der Straße)? Strenge Homeoffice-Vorgaben? Ausgangsbeschränkungen? Online-Einreiseanmeldungen? In Flandern und der Wallonie kamen die Maßnahmen immer früher.

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Von daher lohnt sich jetzt vielleicht auch ein genauerer Blick auf die neuen Reiseregeln, die im Nachbarland in dieser Woche in Kraft getreten sind. Alle nicht notwendigen Reisen aus und nach Belgien (und auch innerhalb des Landes) sind bis Anfang März verboten. Ins Ausland dürfen Belgier nur noch „aus triftigen Gründen“. Und bei jedem Grenzübertritt muss eine „ehrenwörtliche Erklärung“ mitgeführt werden, in der dieser Grund auch aufgeführt ist. Wer die Debatten in Berlin und innerhalb der EU verfolgt (gestern etwa im Innenministerrat), dem dürfte schnell klar sein, dass Belgien auch hier eine Art Vorreiter spielt und Reiseverbote wohl bald auch anderswo kommen.

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Natürlich haben die Belgier die Schlagbäume nicht komplett heruntergelassen. Es sind berufliche Reisen weiterhin möglich und auch einige private. Die Ehrenerklärung listet hier zum Beispiel als triftigen Grund eine Hochzeit auf (aber nur bei Verwandten und Verschwägerten ersten und zweiten Grades) oder den Besuch bei einem Ehe- oder Lebenspartner, der nicht unter demselben Dach wohnt. Aber Achtung: Hierzu muss der „stabile und dauerhafte Charakter der Beziehung plausibel nachgewiesen werden“! Wie dies genau aussehen soll, ist nicht bekannt. Auch eine Beerdigung wird akzeptiert – aber auch hier nur, wenn „der stabile und dauerhafte Charakter der Beziehung mit der betreffenden nahestehenden Person“ (sprich: des oder der Toten) plausibel nachgewiesen werden kann.

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Die Frage ist wie immer, wer die ganzen Ehrenmänner und -frauen mit ihren ganzen Erklärungen und triftigen Reisegründen kontrollieren soll. Die belgische Innenministerin Annelies Verlinden sagt, man wolle die Menschen nicht schikanieren. Polizeikontrollen wird es aber dennoch geben: an Flughäfen, Bahnhöfen und stichprobenhaft auch auf Straßen, wie ein entsprechender Aktionsplan vorsieht. Und das Beispiel Homeoffice zeigt deutlich, dass es die belgische Regierung bei ihren Coronamaßnahmen nicht nur bei guten Worten und folgenlosen Ermahnungen belassen will: Seit Einführung der Homeoffice-Pflicht in Belgien (wo immer diese möglich ist) wurden neuesten Zahlen zufolge bereits über 24000 Kontrollen bei Unternehmen durchgeführt. Dabei wurden mehr als 5600 Verstöße festgestellt und zum Teil auch mit saftigen Bußgeldern belegt. Seit Jahresbeginn wurden die Kontrollen noch einmal verstärkt. Wirtschaftsminister Pierre-Yves Dermagne zeigte sich in dieser Woche durchaus zufrieden: Die Homeoffice-Vorgaben würden im­mer besser umgesetzt, sagte er.

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Wie effektiv die ganzen Maßnahmen aber gegen die Eindämmung der Pandemie sind, steht noch auf einem ganz anderen Blatt. Ein gestern in belgischen Medien verbreiteter Bericht des Universitätskrankenhauses und der Katholischen Universität Löwen gibt hier wenig Anlass zur Freude: Noch vor Ende Februar würden 90% der Neuinfektionen in Belgien auf die „britische“ Virusmutation zurückzuführen sein, hieß es. Dabei sollten ja gerade die jüngsten Reiseverbote die Verbreitung dieser deutlich ansteckenderen Virusvariante verhindern.

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