Im InterviewFritzi Köhler-Geib

„Das Tempo beim Bilanzabbau erscheint angemessen“

Der Ausgang der wegweisenden EZB-Zinssitzung am Donnerstag ist völlig offen. Die Börsen-Zeitung hat mit Fritzi Köhler-Geib, Chefvolkswirtin KFW, über Teuerung, Bilanzabbau und Inflationsziele gesprochen.

„Das Tempo beim Bilanzabbau erscheint angemessen“

Muss die EZB ihre Leitzinsen weiter anheben, und wenn Ja, bereits jetzt am Donnerstag, oder hat sie bereits genug getan?

Es gibt gute Argumente für und gegen einen weiteren Zinsschritt. Die rapide Eintrübung der wirtschaftlichen Stimmung und die deutliche Abkühlung der Kreditmärkte sind gegenüber einer hartnäckig hohen Inflation und Aufwärtstendenzen bei den langfristigen Inflationserwartungen abzuwägen. Den neuen Inflationsprognosen des EZB-Stabs wird eine hohe Bedeutung zukommen. Ich tippe darauf, dass es zu einer zehnten und letzten Zinsanhebung kommt, aber es wird eine knappe Entscheidung.

Wie sollte die EZB reagieren, falls die Eurozone nun in eine Rezession rutscht, während die Inflation immer noch deutlich zu hoch liegt?

Das Mandat der EZB ist klar. Die Gewährleistung der Preisstabilität im Euroraum hat oberste Priorität. Das ist ein wesentlicher Unterschied zur Fed. Dennoch ist der wirtschaftliche Ausblick für die Zentralbankentscheidungen relevant, da er die Inflationsentwicklung mitbestimmt. Für den Euroraum sehe ich trotz des Stimmungstiefs gute Chancen für eine moderate Erholung. Bei den Materialengpässen, dem Energiekostenschub und den Kaufkraftverlusten liegt das Schlimmste hinter uns.

Parallel zu den Zinserhöhungen reduziert die EZB ihre aufgeblähte Bilanz. Braucht es dabei mehr Tempo oder ist das aktuelle Vorgehen angemessen – oder aktuell sogar zu viel?

Beim Thema Bilanzabbau konnte die EZB nur auf einen begrenzten Erfahrungsschatz zurückgreifen. Bislang gelingt es ihr, diese Herausforderung gut zu meisten. Die EZB-Bilanz wurde bereits von knapp 70% des BIP der Eurozone auf etwa 50% gesenkt, ohne dass es im Euroraum zu größeren Verwerfungen an den Finanzmärkten kam. Das Tempo erscheint also durchaus angemessen und ich rechne damit, dass sich der Bilanzabbau auch in den kommenden Monaten weiterhin so geräuschlos fortsetzen wird.

Wie schätzen Sie den mittel- und langfristigen Inflationstrend im Euroraum ein? Droht strukturell eine höhere Inflation oder eine Rückkehr zur Disinflation wie vor der Pandemie?

Vieles spricht dafür, dass der Inflationsdruck und damit das Zinsniveau auf längere Sicht höher bleiben dürften als im vergangenen Jahrzehnt. Die Höhe des neutralen Leitzinses wird davon abhängen, wie gut die politischen Akteure jenseits der Geldpolitik und die Gesellschaft als Ganze mit den vielfältigen angebotsseitigen Herausforderungen umgehen. Dazu gehören der Klimawandel, der Fachkräftemangel, die schwache Produktivitätsentwicklung und wachsende geopolitische Konflikte.

Sollte die EZB perspektivisch ihr Inflationsziel von 2,0% anheben oder zumindest eine Art Toleranzband einführen?

Die feste Verankerung der Inflationserwartungen ist in Phasen hoher Preissteigerungen von enormer Bedeutung. Das bestätigt die Erfahrung der vergangenen Monate. Eine Veränderung des 2-Prozent-Ziels halte ich deshalb für schwierig. Kontinuität ist ein Wert an sich, sonst entsteht leicht der Eindruck von Beliebigkeit. Durch die Anpassung ihrer geldpolitischen Strategie auf ein symmetrisches Inflationsziel im Jahr 2021 verfügt die EZB ohnehin über mehr Spielräume bei temporären Zielabweichungen.

Die Fragen stellte Mark Schrörs