GELDPOLITIK AUF DEM PRÜFSTAND

Debatte über die EZB-Strategie

Diskussion über geldpolitisches Rahmenwerk nimmt auch in Euroland Fahrt auf - Vorbild ist die US-Notenbank - Geteilte Meinungen über künftige Instrumente

Debatte über die EZB-Strategie

Die Weltfinanzkrise hat an Grundfesten der Geldpolitik gerüttelt. Die US-Notenbank Fed diskutiert nun über Veränderungen am geldpolitischen Rahmenwerk und könnte künftig mit einem durchschnittlichen Inflationsziel aufwarten. Aber auch in der EZB machen sich immer mehr Gedanken über die Zukunft.Von Mark Schrörs, FrankfurtIn der US-Notenbank Fed tobt eine intensive Diskussion über die Zukunft des geldpolitischen Rahmenwerks. Anfang 2020 soll es konkrete Ergebnisse geben. So weit ist die Europäische Zentralbank (EZB) längst nicht. Aber auch bei den Euro-Hütern nimmt die Debatte Fahrt auf. Allen voran Finnlands Zentralbankchef Olli Rehn, ein Kandidat für die Nachfolge von EZB-Präsident Mario Draghi, wirbt für eine Überprüfung – ohne allzu konkret zu werden.Hintergrund der Debatte ist nicht zuletzt, dass sich etwa gezeigt hat, dass Preisstabilität nicht ausreicht, um auch Finanzstabilität zu sichern, dass aber ein Mangel an Finanzstabilität enorme negative Folgen für die Preisstabilität haben kann. Zudem verharrt die Inflation in den wichtigsten Industrieländern unterhalb des verbreiteten 2-Prozent-Ziels – trotz einer beispiellos expansiven Geldpolitik über viele Jahre hinweg. Hinzu kommt schließlich die Sorge wegen des nur noch geringen Handlungsspielraums der Zentralbanken. Muss sich also etwas ändern? Diese Frage stellt sich auch für die EZB.Der EU-Vertrag definiert in Artikel 127 als “vorrangiges Ziel” der EZB, Preisstabilität zu gewährleisten. Immer wieder gab und gibt es Diskussionen, das zu ergänzen um wirtschaftliche Ziele. Die Fed hat etwa ein duales Mandat aus Preisstabilität und Beschäftigung. Aber auch die EZB soll laut Vertrag Ziele der Union wie Vollbeschäftigung unterstützen, solange das nicht der Preisstabilität schadet. Aktuell dreht sich die Debatte vor allem darum, Finanzstabilität als explizites Mandat aufzunehmen. Die Zentralbanker warnen aber vor möglichen Interessenkonflikten.Was er unter Preisstabilität versteht, hat der EZB-Rat 1998 selbst definiert – nämlich einen mittelfristigen Anstieg des Harmonisierten Verbraucherpreisindex HVPI von “unter 2 %”. 2003 stellte er nach einer Überprüfung klar, dass er dabei eine Preissteigerungsrate von “unter, aber nahe 2 %” anstrebe. Seitdem wird diese Formulierung de facto als neue Definition von Preisstabilität verstanden – mit einer starken Fixierung auf “nahe 2 %”. Was das genau meint, ist aber offen: Einige Euro-Notenbanker scheinen auch mit 1,6 % zufrieden, andere nur mit 1,9 %. Die Fed hat sich in der Krise ein klares Punktziel von 2 % gegeben. Die schwedische Zentralbank hat ein “Toleranzband” von plus/minus 1 Prozentpunkt um ihr Ziel von 2 %. Inzwischen stehen die 2 % aber von zwei Seiten unter Beschuss: Zum einen sind da jene, die für eine Absenkung sind – zumal in Zeiten global niedriger Inflation. Zum anderen sind da jene, die für eine Erhöhung plädieren. Sie argumentieren primär, dass dann höhere nominale Leitzinsen möglich seien und damit der Puffer zur Zinsuntergrenze größer – was in einer Krise mehr Zinssenkungsspielraum gebe. Bislang verteidigen aber die Euro-Hüter die 2 %.Zur Umsetzung hat sich der EZB-Rat zu Beginn die sogenannte “Zwei-Säulen-Strategie” gegeben. Die eine Säule ist die wirtschaftliche Analyse mit dem Blick auf die wirtschaftliche Entwicklung und Inflationstrends. Die zweite Säule ist die monetäre Analyse, also der Blick auf Geldmengen und Kreditvergabe. Die monetäre Säule hat über die Jahre an Bedeutung eingebüßt. Ex-EZB-Vizepräsident Vítor Constâncio sagte bei seinem Abschied im Mai 2018 sogar, die EZB sei in der Krise in die Reihe der Notenbanken eingetreten, die eine Strategie der flexiblen Inflationssteuerung verfolgten.Tatsächlich ist das “(Flexible) Inflation Targeting” inzwischen die weltweit bevorzugte Strategie. Dabei wird das Endziel Preisstabilität unmittelbar angesteuert. Droht das Ziel nach oben verfehlt zu werden, strafft die Zentralbank die Geldpolitik. Droht eine Verfehlung nach unten, lockert sie den Kurs.In den USA wird als neue Variante nun verstärkt über eine Modifikation diskutiert, die angelehnt ist an die Preisniveausteuerung. Dabei würde die Fed nicht jedes Jahr aufs Neue 2 % anvisieren – egal, was zuvor passiert ist. Stattdessen würde sie über einen bestimmten Zeitraum im Durchschnitt 2 % anstreben – deswegen heißt das “Average Inflation Targeting”. In guten wirtschaftlichen Zeiten würden Raten oberhalb von 2 % angestrebt, weil in schlechten Zeiten die Raten unter 2 % liegen dürften. So könnten die Inflationserwartungen im Einklang mit dem Ziel gehalten werden, so die Befürworter.Eine andere Zukunftsfrage auch für die EZB ist: Gehören Negativzinsen, Wertpapierkäufe (Quantitative Easing, QE) oder Zukunftsaussagen (Forward Guidance) künftig zu den Standardinstrumenten? Die Meinungen gehen auseinander: EZB-Präsident Mario Draghi etwa sagt, Staatsanleihekäufe seien nun ein “normales Instrument” im EZB-Werkzeugkasten. Bundesbankchef Jens Weidmann indes sieht sie als Instrument nur für den absoluten Ausnahmefall.