Debatte über Europas Krisenantwort

IW-Chef untermauert Plädoyer für 1 000-Mrd.-Euro-Fonds der EU - Experten streiten über Corona-Bonds

Debatte über Europas Krisenantwort

Die EU-Kommission feilt derzeit an einem Vorschlag für einen EU-Wiederaufbaufonds nach der Krise – als letztes Puzzleteil zu Europas Antwort auf die Coronakrise. Zentrale Details sind aber noch umstritten. Das sorgt auch beim Finanzmarkt-Roundtable für lebhafte Diskussionen – genauso wie das Handeln der EZB.ms Frankfurt – Seit Wochen ringt Europa, genauer: die Eurozone um eine gemeinsame Antwort auf den durch die Corona-Pandemie verursachten historischen Wirtschaftseinbruch. Nach langem Hin und Her einigten sich die EU-Staats- und Regierungschefs unlängst auf ein 540-Mrd.-Euro-Paket gegen die wirtschaftlichen Folgen der Krise. Streit gibt es aber über den geplanten Wiederaufbaufonds und dessen Finanzierung. Vor allem bei der Frage nach Corona-Bonds, also gemeinsamen Anleihen, stehen sich Nord- und Südländer unversöhnlich wie lange nicht mehr gegenüber. Derweil feuert die Europäische Zentralbank (EZB) aus allen geldpolitischen Rohren. “Exorbitante Krise”Was sich derzeit abspiele, sei eine “exorbitante Krise”, “eine extreme Situation” mit einem “globalen Angebots- und Nachfrageschock”, sagte IW-Chef Michael Hüther. Das rechtfertige “extreme Antworten” der Finanz- und Geldpolitik. Er rechnete vor, dass die sieben führenden Industrienationen (G7) allein in diesem Jahr bislang finanzpolitische Maßnahmen in Höhe von 3,5 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) aufgewendet hätten. Das sei mehr als in den drei Jahren rund um die Weltfinanzkrise von 2008 bis 2010 zusammen (siehe Grafik). Auch Deka-Chefvolkswirt Ulrich Kater sprach von einer “Jahrhundertrezession”, und deshalb müsse man “in extremen Größenordnungen denken”. Das sei ein “wahrhaft keynesianischer Moment”, sagte Kater.Markus Demary, Senior Economist beim IW, sagte, dass der Schock zwar ein ganz anderer sei als in der Weltfinanzkrise, dass es aber durchaus auch Parallelen gebe. So könne es auch heutzutage noch zu einer Banken- und einer Staatsschuldenkrise sowie zu einem Teufelskreis aus beidem kommen. “Ich mache mir besondere Sorgen um Italien”, sagte er.Um die Krise zu überwinden, die Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen zu sichern und die erhoffte wirtschaftliche Erholung nach Überwindung der Pandemie zu unterstützen, untermauerte IW-Chef Michael Hüther seinen Vorschlag, einen europäischen Fonds für Wiederaufbau außerhalb des EU-Haushalts mit rund 1 000 Mrd. Euro auszustatten und diesen über die Ausgabe von Corona-Bonds zu finanzieren. Es gehe um “einen krisenspezifischen Fonds mit fixer Ausstattung, klarer Verwendungsauflage und angemessener Finanzierung”, sagte Hüther.Es müsse eine einmalige Krisenhilfe geben, die bestehende Institutionen nicht beschädige und die Finanzarchitektur der Eurozone nicht verändere. Deshalb sei es wichtig, das außerhalb des EU-Haushalts zu organisieren. Sonst werde es schwer, das in der Zukunft wieder zurückzudrehen, wenn die Krise vorüber sei. Es gehe um die einmalige Begebung von Gemeinschaftsanleihen, und eine Schuldenvergemeinschaftung finde nicht statt: “Solche Corona-Bonds sind deshalb etwas ganz anderes als früher diskutierte Euro-Bonds.”IW-Ökonom Demary sagte, dass solche Anleihen zumindest temporär ein European Safe Asset darstellen könnten. “Das könnte ein temporäres Instrument zur Stützung der Kapitalmärkte im Euroraum sein”, sagte er. Daran fehle es genauso wie an einer Eigenkapitalunterlegung von Staatsanleihen und einheitlichen Insolvenzregeln, so Demary.Deka-Chefvolkswirt Kater unterstützte zwar die Idee, diese einmalige Krise gemeinsam und mit besonderen, einmaligen Maßnahmen zu bekämpfen. Er sprach sich aber klar gegen Corona- oder Euro-Bonds aus. Das sei “vollkommen fehl am Platz”. Es sei auch illusorisch zu glauben, dass gemeinsame Anleihen einmal eingesetzt werden könnten, ohne dann zur Dauereinrichtung zu werden. “Dieses Instrument wird sich perpetuieren”, sagte Kater.Ein besonderer Blick richtete sich beim Roundtable auch auf die EZB, die zu beispiellosen Maßnahmen gegriffen hat. Katrin Assenmacher, Leiterin der Abteilung Geldpolitische Strategie bei der EZB, verteidigte den Kurs. Es gehe um drei Ziele: Versorgung der Finanzmärkte mit Liquidität, Aufrechterhaltung der Kreditversorgung und Sicherstellung günstiger Finanzierungsbedingungen – “für Haushalte und für Staaten”, wie sie sagte. EZB-Direktoriumsmitglied Isabel Schnabel hatte unlängst sogar explizit einen Zusammenhang zwischen dem erhöhten Finanzierungsbedarf der Staaten in der Coronakrise und PEPP hergestellt (vgl. BZ vom 17. April). Assenmacher wies aber Kritik zurück, die EZB betreibe de facto monetäre Staatsfinanzierung. Die “starke Flexibilität von PEPP” sei keinesfalls gleichzusetzen mit monetärer Staatsfinanzierung, sagte sie. EZB und StaatsfinanzierungIW-Chef Hüther pflichtete Assenmacher im Grunde bei, während Deka-Chefvolkswirt Kater anmerkte: “Wir sind in den vergangenen Jahren immer stärker in Richtung einer immer stärkeren Rolle der Notenbanken bei der Finanzierung der Staaten gegangen.” Die Trennung zwischen Geld- und Fiskalpolitik sei formal noch vorhanden, verschwimme aber.Kater ist denn auch überzeugt, dass die Krise das Handeln der EZB und der anderen Notenbanken auf Dauer verändern könnte: Statt die Inflation einzuhegen, könnten sie künftig gezwungen sein, eher die Zinsstruktur zu kontrollieren, um die Zinsen extrem niedrig zu halten – selbst wenn das bedeute, temporär eine höhere Inflation zu tolerieren.