Debatte über Glaubwürdigkeit des EZB-Ziels
Glaubwürdigkeit des EZB-Ziels im Fokus
Umfragen von Bundesbank und ZEW zu Inflationserwartungen – Deutsche Gewerkschaften ändern Lohnverhalten
Die Inflationserwartungen stehen derzeit mit Blick auf die Lohnentwicklung und die Glaubwürdigkeit der Geld- politik im besonderen Fokus – auch bei der EZB selbst. Bundesbank und ZEW legen dazu nun neue Erkenntnisse vor. Die Sorgen vieler Notenbanker dürften zumindest nicht unbedingt kleiner werden.
ms Frankfurt
Neue Umfragen der Bundesbank und des Wirtschaftsforschungsinstituts ZEW heizen die Debatte über die Entwicklung der Inflationserwartungen im Euroraum und die Glaubwürdigkeit der EZB-Geldpolitik an. Unter dem Strich dürften die Erkenntnisse die Sorgen vieler Euro-Notenbanker verstärken, dass sich in der aktuellen Hochinflationsphase die Inflationserwartungen vom 2-Prozent-Ziel entfernen könnten und sich so etwa über eine Lohn-Preis-Spirale die zu hohe Teuerung verfestigen könnte. Zugleich nähren aber neue Preisdaten aus Deutschland zumindest die Hoffnung, dass die Inflation weiter zurückgeht.
Inflation weiter viel zu hoch
Die Inflationserwartungen stehen derzeit mit Blick auf die Lohnentwicklung und die Glaubwürdigkeit der Geldpolitik im besonderen Fokus der Europäischen Zentralbank (EZB). Die Inflation im Euroraum hat sich zwar von 10,6% im Oktober auf 5,3% im Juli halbiert. Sie liegt damit aber immer noch deutlich oberhalb des mittelfristigen EZB-Zielwerts von 2,0%. Hinzu kommt, dass sich die Kernrate ohne Energie und Lebensmittel bislang kaum abgeschwächt hat und im Juli mit 5,5% nahe ihres Rekordhochs lag. Aktuell zeigen auch eine Reihe von Finanzmarktpreisen mittelfristig erhöhte Inflationserwartungen an. Das kann perspektivisch zu Lohn- und Inflationsdruck führen.
Die Bundesbank präsentierte nun in ihrem am Montag veröffentlichten Monatsbericht August Erkenntnisse aus einer Umfrage zur Rolle der Inflation und Inflationserwartungen in den jüngsten Tarifverhandlungen in Deutschland. Die Botschaft: „Das Ziel des Eurosystems einer mittelfristigen Inflationsrate von 2% verlor im Jahresverlauf 2022 deutlich an Relevanz als Anker in den Tarifverhandlungen.“ Dies gilt laut Bundesbank insbesondere für die Lohnforderungen der Gewerkschaften. Aber auch insgesamt habe sich gezeigt, „dass die Bedeutung des mittelfristigen Inflationsziels mit steigender aktueller Inflation abnahm“.
Aber auch das Verhalten der Gewerkschaften bei den konkreten Lohnabschlüssen habe sich geändert, so die Bundesbank. In den Tarifabschlüssen im Winter 2022/2023 spielte das EZB-Inflationsziel demnach „anders als zuvor gar keine Rolle mehr“ (siehe auch Grafik). Die Bundesbank schreibt zwar zugleich, dass sich die Bedeutung bestimmter für die Lohnfindung relevanter Faktoren über die Zeit immer verändern könne. Dennoch warnt sie sehr deutlich: „Sollten die Inflationserwartungen der Gewerkschaften dauerhaft jenseits der 2-Prozent-Zielmarke verharren, wäre dies aus geldpolitischer Sicht besorgniserregend. Denn dadurch würde sich das Risiko erhöhen, dass sich die hohen Inflationsraten stärker als bisher angenommen verfestigen.“
Die Bundesbank argumentiert zudem, dass es nach den deutlichen Reallohnverlusten im Jahr 2022 in der näheren Zukunft zum Ausgleich zu Lohnnachschlägen kommen könnte. Die Sorgen um die Arbeitsplatzsicherheit dürften sich demnach inzwischen verringert haben, und die bisherigen staatlichen Stützungszahlungen dürften die Frage nach einem weiteren Reallohnausgleich zeitlich nach hinten verschoben haben. „Es besteht also auch deswegen ein potenzielles Aufwärtsrisiko für die Lohnentwicklung in Deutschland“, so die Bundesbank.
Ebenfalls am Montag veröffentlichte das ZEW – Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung Ergebnisse einer Sonderumfrage des ZEW-Finanzmarkttests vom August 2023, in der die Befragten ihre Einschätzung der Inflations- und Leitzinsentwicklung in der Eurozone für den Zeitraum 2023 bis 2025 abgaben. Demnach gingen die Inflationserwartungen der Experten zum ersten Mal seit langem zurück.„Nachdem im Mai 2023 erstmals kein weiterer Anstieg der Inflationserwartungen der Finanzmarktexpertinnen und -experten verzeichnet wurde, sinken sie nun im August 2023 das erste Mal merklich“, sagte ZEW-Wissenschaftler Frank Brückbauer. Es „zeichnet sich durch die vergangenen beiden Umfragen eine Trendwende ab“, so Brückbauer. Das könnten jene im EZB-Rat als Argument anbringen, die vor einem zu aggressiven Zinskurs warnen.
Allerdings liefert die ZEW-Umfrage auch den Inflationsmahnern in der EZB Argumente. Zwar gingen die im Median erwarteten Inflationsraten für die Jahre 2023, 2024 und 2025 auf 5,5%, 3,3% und 2,5% zurück – nach noch 5,8%, 3,7% und 2,5% in der Mai-Umfrage. Für 2025 ist der Wert aber unverändert und vor allem bedeuten die Ergebnisse eben auch, dass die EZB ihr Inflationsziel nicht vor dem Jahr 2026 erreichen würde. Als größten Inflationstreiber sehen die Experten weiter die Entwicklung der Löhne (siehe Grafik).
Deutsche Erzeugerpreise fallen
Positive Inflationsnachrichten gab es indes am Montag aus Deutschland. Die deutschen Erzeugerpreise sanken im Juli erstmals seit gut zweieinhalb Jahren wieder, wie das Statistische Bundesamt mitteilte. Die Produzenten gewerblicher Produkte verlangten durchschnittlich 6,0% weniger als ein Jahr zuvor. Zuletzt waren die Preise im November 2020 gefallen. „Einen höheren Rückgang gegenüber dem Vorjahresmonat gab es zuletzt infolge der Finanz- und Wirtschaftskrise im Oktober 2009“, so Destatis. Das schlägt sich verzögert bei den Verbraucherpreisen nieder.