Debatte um Vier-Tage-Woche nimmt Fahrt auf
Debatte um 4-Tage-Woche kommt in Fahrt
Vorteile für Produktivität, Fachkräftesicherung und Geschlechtergerechtigkeit – Langfristige Wirkungen unklar
Eine Pilotstudie soll die Vier-Tage-Woche in Deutschland erproben. Befürworter erhoffen sich mehr Produktivität und Geschlechtergerechtigkeit. Doch die langfristigen Wirkungen sind unerforscht. Und auch die IG Metall rückt von ihrer Forderung nach einer kürzeren Wochenarbeitszeit für die Tarifverhandlungen 2024 ab.
ast Frankfurt
Von Anna Steiner, Frankfurt
Die Vier-Tage-Woche soll nun auch in Deutschland getestet werden. Nach Pilotversuchen in Großbritannien sucht die Personalberatung Intraprenör hierzulande nach Unternehmen, die das Arbeitszeitmodell über sechs Monate testen wollen. Die IG Metall preschte erst vergangene Woche mit der Forderung nach der Vier-Tage-Woche bei vollem Gehalt für die Stahlkocher vor. In einigen Branchen mag die Einführung der von vielen Arbeitnehmern herbeigesehnten Vier-Tage-Woche Sinn machen. Doch es gibt auch Nachteile.
Schon seit der industriellen Revolution nimmt die Arbeitszeit in Deutschland nahezu kontinuierlich ab. Während die Deutschen laut Statistischem Bundesamt (Destatis) 1871 durchschnittlich noch 72 Stunden pro Woche arbeiteten, waren es 2022 nur noch 40 Stunden pro Woche und Vollzeitbeschäftigtem. Gleichzeitig nahm aber die Produktivität zu (siehe Grafik), allerdings in den letzten Jahren deutlich langsamer als zuvor. Hier setzt eines der Argumente der Befürworter an: Die Vier-Tage-Woche trage dazu bei, die Produktivität zu steigern. Das ist eines der Ergebnisse der Studie, die Intraprenör bereits in Großbritannien durchgeführt hat. Zu ähnlichen Ergebnissen kamen vergleichbare Studien in Australien und den USA. Und nicht nur das: Die Mitarbeiter seien zufriedener, motivierten und vor allem fehlten sie seltener. Für Großbritannien stellt die Personalberatung fest, dass die Fehltage um 65% zurückgegangen sind.
Schub für Gleichstellung
Auch die Kinderbetreuung würde durch verringerte Wochenarbeitszeiten vereinfacht: Durch die verkürzte Woche können sich Angestellte mehr um ihre Kinder kümmern – und sparen dadurch an Kosten für die Betreuung. In Großbritannien, wo die Kinderbetreuungskosten der Industriestaatenorganisation OECD zufolge fast 52% der weiblichen Medianeinkommens ausmachen, ist hier eine spürbare Erleichterung möglich. Aber auch in Deutschland könnte die Gleichstellung der Geschlechter einen Schub erhalten. Hier liegen die Kinderbetreuungskosten laut OECD zwar unter 5% des weiblichen Medianeinkommens, doch die Plätze sind knapp. 49% der Eltern mit Kindern unter drei Jahren gaben 2020 in einer Studie an, dass sie eine Kita benötigen, doch nur 24% konnten genug Betreuungsstunden ergattern.
IG Metall kassiert Forderung
Für die Linderung des Fachkräftemangels betonen Arbeitsmarktpolitiker hierzulande immer wieder, dass die stille Reserve der Teilzeitkräfte gehoben werden müsse. Denn die Zuwanderung allein wird den Bedarf an Arbeitskräften nicht decken können. Eine verkürzte Wochenarbeitszeit bei vollem Lohnausgleich wäre gerade für Eltern eine Entlastung. Würden alle Frauen mit Kindern unter sechs Jahren so viel arbeiten können, wie sie wollen, gäbe es laut Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) 840.000 Arbeitskräfte mehr. Neben der höheren Produktivität wäre auch das ein Argument für die Vier-Tage-Woche – auch aus Unternehmenssicht.
So weit die kurzfristigen Auswirkungen, so gut. Doch mit Blick auf die Langfristigkeit stellen sich viele berechtigte Fragen. Denkbar ist etwa, dass ein Gewöhnungseffekt eintritt und die Produktivität nach längerer Zeit doch wieder zurückgeht. Die bisherigen Studien beschränkten sich jedoch auf einen Zeitraum von sechs Monaten. Wenn die verkürzte Wochenarbeitszeit zudem für alle Branchen gelten sollte, dürfte der Fachkräftemangel eher noch verschärft werden. Denn gerade in der Kinderbetreuung fehlen schon heute Tausende Erziehende. Auch in anderen Branchen mit hohem Personalbedarf – wie in der Pflege oder in der Bildung – dürfte die Durchsetzung schwierig werden.
Und selbst für die Industrie gilt es noch Zweifel auszuräumen: Zwar fordert die IG Metall für die Stahlkocher die 32-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich. In den 2024 anstehenden Tarifverhandlungen für die 3,9 Millionen Beschäftigten der Metall- und Elektroindustrie soll der Fokus aber auf höheren Löhnen liegen und nicht auf kürzeren Arbeitszeiten, sagte Gewerkschaftsführer Jörg Hofmann kürzlich in einem Interview.