Dem Land der Forscher fehlen die Gründer
Von Stefan Paravicini, Berlin
Der Forschungsstandort Deutschland steht in den einschlägigen Ranglisten zur Innovationskraft gut da. Als der US-Informationsdienst Bloomberg im vergangenen Jahr in seinem seit 2013 erhobenen Innovation Index erstmals Deutschland an die Spitze setzte, fehlte das in kaum einer Regierungsansprache zur Forschungspolitik. Im aktuellen Bloomberg-Ranking liegt Südkorea vorne. Deutschland nimmt auf Rang 4 aber weiter eine sehr gute Position ein und belegt auch in dem vom Weltwirtschaftsforum (WEF) erhobenen Global Competitiveness Index oder in dem von Fraunhofer und dem Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) im Auftrag des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) berechneten Innovationsindikator Spitzenplätze.
Eine der strukturellen Schwächen des Forschungsstandorts Deutschland, die in diesen Indikatoren kaum zum Tragen kommen, ist der im Vergleich zu anderen Ländern stotternde Transfer von Forschungsergebnissen in die wirtschaftliche Praxis. Die USA sind im Bloomberg Innovation Index zuletzt erstmals aus den Top 10 gefallen, die Umsetzung von Forschungserfolgen in ökonomischen Nutzen klappt dennoch besser als in Deutschland. Dazu gehört auch, dass es in den USA mehr Forscher gibt, die sich auch als Unternehmensgründer betätigen. Zwischen 2016 und 2019 waren nach Angaben des Global Entrepreneurship Monitor hierzulande weniger als 8% der 18- bis 64-Jährigen an einer Gründung beteiligt. In den USA waren es im gleichen Zeitraum mehr als 17%, in Südkorea knapp 15%. In Deutschland erfolgt der Transfer von Forschungsergebnissen immer noch in erster Linie über Kooperationen zwischen Hochschulen und Unternehmen. Dabei sind Ausgründungen aus Hochschulen erfolgreicher als andere Start-ups, wie das ZEW erhoben hat. Sie schaffen im Vergleich auch mehr Arbeitsplätze.
Das in Zeiten der Pandemie herausragende Beispiel für Forscher, die ihre Ideen im eigenen Unternehmen zum wirtschaftlichen Erfolg geführt haben, ist das Biontech-Gründerpaar Özlem Türeci und Ugur Sahin. An der Börse ist der mRNA-Spezialist, der zusammen mit Pfizer einen Corona-Impfstoff entwickelt hat, heute mehr als 50 Mrd. Dollar wert. Auch das Münchner Software-Start-up Celonis, das vor wenigen Wochen als erste deutsche Nachwuchsfirma eine Bewertung über 10 Mrd. Dollar erzielt hat, ist eine erfolgreiche Ausgründung aus der Universität.
Neben der Förderung von Spin-offs muss die nächste Regierung auch die Hürden für Ausgründungen abtragen. Die Expertenkommission für Forschung und Innovation (EFI) hat 2019 in einem Gutachten festgestellt, dass Forscher auch wegen des hohen Publikationsdrucks in der Wissenschaft zu wenig Zeit haben, über die wirtschaftliche Verwertung ihrer Erkenntnisse nachzudenken. Das Fraunhofer-Institut hat bereits 2006 dargelegt, dass vielen Naturwissenschaftlern kaufmännisches Wissen fehle und sie deshalb unrealistische Marktstrategien entwickelten.