NOTIERT IN BRÜSSEL

Der amerikanische Weckruf für Europa

Mit Spannung wurde gestern natürlich auch in allen Brüsseler EU-Institutionen der Auszählungskrimi in den USA verfolgt. Und vor allem die Außen-, Sicherheits- und Handelspolitiker im Europaparlament versuchten schon, Lehren zu ziehen - ganz...

Der amerikanische Weckruf für Europa

Mit Spannung wurde gestern natürlich auch in allen Brüsseler EU-Institutionen der Auszählungskrimi in den USA verfolgt. Und vor allem die Außen-, Sicherheits- und Handelspolitiker im Europaparlament versuchten schon, Lehren zu ziehen – ganz unabhängig vom schlussendlichen Ausgang des Kampfes um das Weiße Haus. Eine Aussage, auf die sich alle an der Debatte Beteiligten schnell einigen können: Die Trump-Jahre, der Wahlkampf und Ausgang der US-Wahl zeigen ganz eindeutig, dass die EU endlich lernen muss, ihre eigene Stärke auszuspielen. Die transatlantische Partnerschaft, wie wir sie einmal kannten, könnte nämlich für immer Geschichte sein. Es werde kein Zurück zum alten Zustand geben, ist beispielsweise David McAllister überzeugt, der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Parlament. Für die EU gehe es jetzt darum, ein “New Normal” zu definieren. *Für den Christdemokraten bedeutet dies, jetzt eine Debatte um eine “strategische Autonomie” zu führen – ein Schlagwort, mit dem längst nicht alle Abgeordneten so glücklich sind. Für McAllister bedeutet dies aber, dass die EU endlich einmal ihre eigenen Interessen und Ziele in der Außen- und Sicherheitspolitik definiert. Es gehe darum, Prozesse zu verbessern, schneller und glaubwürdiger zu werden und gegenüber den USA – aber natürlich auch China und Russland – selbstbewusster aufzutreten. “Damit dies gelingt, müssen wir erst einmal unsere eigenen Hausaufgaben machen.” *Auch McAllister weiß natürlich, dass diese Debatte nicht neu ist. Aber es sei in den vergangenen drei Jahren schon viel passiert, sagt er. Auf jeden Fall mehr, als in den ganzen Jahrzehnten zuvor. Dies liegt vor allem daran, dass Großbritannien, das Debatten um eine eigenständige europäische Außen- und Sicherheitspolitik immer ausgebremst hat, nach dem Brexit-Referendum seinen Widerstand bei dem Thema aufgegeben hat. So konnten schon erste Strukturen wie der Europäische Verteidigungsfonds oder auch die “Ständige Strukturierte Zusammenarbeit” (Pesco) im Verteidigungsbereich entstehen, die aber noch mit Leben gefüllt werden müssen. Dass die Pesco-Staaten ausgerechnet gestern einen Durchbruch bei der Drittstaatenbeteiligung bekannt geben konnten, über die jahrelang verhandelt wurde, war natürlich Zufall – aber schon ein symbolischer. *Auch für Bernd Lange, dem Vorsitzenden des Handelsausschusses im EU-Parlament, waren die Präsidentschaft von Donald Trump und die Ergebnisse der US-Wahl “ein Weckruf für die EU” auch in der Handelspolitik. Der SPD-Politiker hält vor allem die tiefe Spaltung der amerikanischen Gesellschaft für alarmierend. “Dies alles ist kein gutes Zeichen für eine stabile Beziehung der USA zu den Handelspartnern und hinsichtlich der Stärkung eines regelbasierten internationalen Miteinanders”, warnt Lange. Für ihn ist daher klar: Die EU muss sich künftig noch stärker als eigenständiger Player mit seinen eigenen Interessen und Werten in der internationalen Handelspolitik positionieren. Und: Die EU muss – ganz unabhängig vom finalen Wahlausgang in den USA – ihren Werkzeugkasten ausbauen, um sich angemessen verteidigen zu können. Dies war in der Vergangenheit gegenüber China nicht immer möglich. Und auch bei Trumps Iran-Sanktionen vor zwei Jahren hatte die EU ja nicht wirklich viel dagegenzusetzen, als es galt, europäische Firmen zu schützen. *Für Reinhard Bütikofer, den Außenpolitiker der Grünen im EU-Parlament, ist klar: “Der Trumpismus bleibt unbestreitbar ein Teil des amerikanischen Mainstreams.” Und selbst, wenn Joe Biden das Rennen im Endeffekt für sich entscheide: Europa werde nicht warten können, bis dieser auf die EU zukomme. “Zur Erneuerung der transatlantischen Partnerschaft müssen wir selber aktiv werden”, sagt Bütikofer. Die EU dürfe jetzt nicht die “Gestaltungsnotwendigkeit verschlafen”.