Der Aufstand der "sparsamen fünf" auf dem EU-Gipfel
Von Andreas Heitker, BrüsselEs ist schon einige Monate her, dass sich die Niederlande, Österreich, Dänemark und Schweden in der EU unter dem Label “die sparsamen vier” – beziehungsweise auf Englisch die “Frugal Four” – verbündet haben. Schon auf dem gescheiterten EU-Haushaltsgipfel im Februar hatten die Regierungschefs der informellen Gruppe gemeinsam für ihre Positionen gestritten. Spätestens seit dem vergangenen Wochenende weiß nun jeder in der EU, dass es dem Bündnis um mehr geht als um eine öffentlichkeitswirksame Marketingkampagne.Mit ihrem kompromisslosen Auftreten auf dem mehrtägigen Gipfel in Brüssel hatten die Frugalisten für eine Absenkung des künftigen EU-Finanzrahmens, für einen geringeren Wiederaufbaufonds, für weniger nicht rückzahlbare Zuschüsse für die am stärksten von der Corona-Pandemie betroffenen EU-Länder und für strikte Auszahlungsbedingungen gefochten. Dabei waren sie nicht nur recht erfolgreich, sondern konnten mit Finnland auch noch einen fünften Verbündeten gewinnen. Die neuen Briten?Den EU-Sondergipfel geprägt hat vor allem der niederländische Regierungschef Mark Rutte, der sich als Hardliner inszenierte und seine Gipfelkollegen mit immer neuen Forderungen nach Kürzungen und nach einem Vetorecht für sämtliche Auszahlungen der Wiederaufbauhilfen schon früh auf die Palme brachte. Der bulgarische Premier Bojko Borissow soll Rutte bei einem Abendessen angefahren haben, er führe sich als “Polizist von Europa” auf. Ungarns Regierungschef Viktor Orbán betonte am Sonntag in einem Interview, wenn der Gipfel scheitere, liege es an Rutte. Er, Orbán, wisse nicht, warum sein niederländischer Kollege ihn und die Ungarn so hasse. Aber auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Bundeskanzlerin Angela Merkel sollen von Ruttes kompromisslosem Verhalten genervt gewesen sein. Rutte selbst räumte nach dem ersten Gipfeltag mit einem Grinsen ein, er habe wohl einige Kollegen “irritiert”.Viele Beobachter erklären Ruttes Gipfeltaktik mit den Parlamentswahlen, denen sich der Historiker, der bereits seit zehn Jahren die niederländische Regierung führt, im nächsten März stellen muss. Offenbar nutzt er die europäische Bühne, um innenpolitisch ein Ausrufezeichen zu setzen – auch gegenüber Rechtspopulisten wie Geert Wilders und Thierry Baudet. Rutte weiß, dass etwa zwei Drittel der Niederländer das Corona-Hilfspaket ablehnen.Im April machte ein kurzes Video auf Twitter die Runde: Ein Müllmann rief Rutte zu, er solle auf keinen Fall mehr Geld an die Italiener oder Spanier geben. “Nee, nee, nee”, lautete dessen klare Antwort. Die Politikwissenschaftlerin Catherine de Vries, Professorin an der Bocconi-Universität in Mailand, verweist darauf, dass Ruttes Haltung eigentlich niemanden verwundern sollte, nicht nur wegen der strategischen Signale vor den Wahlen. Die Sparsamkeit, verbunden mit einer gewissen Euroskepsis, passe auch in die Ideologie seiner Partei, der bürgerlich-liberalen “Volkspartei für Freiheit und Demokratie” (VVD). Was für de Vries aber augenscheinlich ist: Der Stil der niederländischen Politik, die im In- wie im Ausland bisher eher auf Konsens setzte, sei jetzt viel kontroverser. Es sei ein Stil, der üblicherweise mehr mit dem Verhandlungsmodell von Westminster und mit Großbritannien verbunden werde.Wollen die Niederlande in der EU jetzt also eher die Rolle einnehmen, die seit dem Brexit vakant ist? Auch anderen ist dies schon aufgefallen. Laut Diplomaten soll Macron während eines der Gipfel-Abendessen in großer Runde sowohl Rutte als auch den österreichischen Bundeskanzler Sebastian Kurz als “die neuen Briten” bezeichnet habe. Beide hätten sich offenbar entschlossen, die Rolle des strukturellen Blockierers zu übernehmen. Kurz ist auf jeden Fall der zweite Protagonist der “sparsamen vier”, der während des EU-Gipfels in den vergangenen Tagen mit markigen Sprüchen auf sich aufmerksam gemacht hat. So sprach der 33-Jährige zu Beginn mit Blick auf Italien davon, man müsse aufpassen, dass die Milliarden aus dem Wiederaufbaufonds nicht “verpufften” in “Staaten, die in ihren Systemen kaputt” seien. Und per Twitter legte er später nach, die zentrale Forderung sei, dass es nicht zu einer langfristigen Schuldenunion kommen dürfe. “Natürlich wollen wir solidarisch sein, aber wir haben auch die Interessen der österreichischen Steuerzahler im Blick.” Kampf um RabatteUnd das bedeutet für Kurz, der seit Jahresbeginn einer Regierungskoalition seiner ÖVP mit den Grünen vorsteht, den EU-Haushalt so klein wie möglich zu halten und für Österreich Rabatte bei den EU-Beiträgen herauszuholen. Im Kompromissvorschlag von Ratspräsident Charles Michel vom Sonntag waren für Österreich Rabatte von 287 Mill. Euro pro Jahr vorgesehen. Ein Ziel hatte Kurz damit schon erreicht. Neue Freunde hat er sich damit im Europäischen Rat aber kaum gemacht. Von Macron wurde das Zitat berichtet, Kurz seien die eigentlichen Verhandlungen offenbar egal. “Er hört nicht auf andere, hat eine schlechte Einstellung. Er kümmert sich um seine eigene Presse und basta!”, soll der französische Präsident gesagt haben.Ganz im Schatten von Rutte und Kurz standen in den vergangenen Tagen die anderen “sparsamen” Regierungschefs aus Skandinavien: die seit Dezember amtierende 34-jährige Finnin Sanna Marin, die sich nur zögerlich den “Frugalen” angeschlossen hatte, die seit einem Jahr amtierende Dänin Mette Frederiksen (42) sowie der Schwede Stefan Löfven, der heute 63 wird und bereits seit sechs Jahren im Amt ist. Alle drei sind übrigens Sozialdemokraten.Dass Dänemark und Schweden von Anfang an bei den “sparsamen vier” dabei waren, wundert Bert Van Roosebeke, EU-Experte vom Centrum für Europäische Politik (Cep), nicht. Der Wiederaufbaufonds sei im Wesentlichen ein Programm für die Euro-Staaten, erläuterte er gestern im “Deutschlandfunk”. Die Nicht-Euro-Staaten würden in das Programm quasi mit hineingezogen.