NOTIERT IN SCHANGHAI

Der chinesische Traum wird zur runden Sache

Es gibt ein schönes Beispiel zur Veranschaulichung von Wahrscheinlichkeitsrechnungen. Dafür braucht es nur eine ausreichend große Anzahl von Schimpansen, die man eine entsprechende Anzahl von Jahren fortwährend auf Schreibmaschinen vor sich...

Der chinesische Traum wird zur runden Sache

Es gibt ein schönes Beispiel zur Veranschaulichung von Wahrscheinlichkeitsrechnungen. Dafür braucht es nur eine ausreichend große Anzahl von Schimpansen, die man eine entsprechende Anzahl von Jahren fortwährend auf Schreibmaschinen vor sich hinklimpern lässt, bis schließlich einer von ihnen irgendwann einmal rein zufällig ein Werk von Goethe oder Shakespeare originalgetreu zu Papier bringen wird.Im schnelllebigen China stellt man sich die Frage, wie viele Jahre es wohl bräuchte, bis im Land mit den meisten Beinen auf der Welt Bälle so professionell getreten werden, dass es einer chinesischen Fußballnationalmannschaft zu internationalem Ruhm gereicht. Wenigstens die Qualifikation zur Weltmeisterschaft müsste rausspringen. Nach einer nüchternen Einschätzung der bisherigen Performance werden es noch sehr viele Jahre sein – wenn man es dem Zufall überlässt. Zufällig aber hat mit dem amtierenden chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping erstmals in der Geschichte der Volksrepublik ein bekennender Fußballfan an den Schalthebeln der Macht Platz genommen. Und er ist in der Lage, dieser nationalen Dringlichkeit neuen Schwung zu verpassen. *Denn die Staatsführung lechzt danach, dass das Reich der Mitte nicht nur weltwirtschaftlich eine Spitzenrolle belegt, das seiner wahren Größe entspricht, sondern auch bei “Soft Power” mit sozialen und kulturellen Werten nachzulegen, die China ins globale Flutlicht rücken sollen. Anschauungsunterricht gab es dieser Tage reichlich: zunächst als Gastland auf der Hannoveraner Cebit-Technologiemesse und dann als Gastgeber für den britischen Thronfolger Prinz William. Damit sind Vorbilder wie deutsches Qualitätsimage und britisches Traditionsbewusstsein gerade einmal mehr wieder im Mittelpunkt – und Fußball darf als ein gemeinsamer Nenner auflaufen, der das Renommee der beiden europäischen Nationen entscheidend mitprägt. So kann man es als gelungenes Timing bezeichnen, dass die Kommunistische Einheitspartei Chinas und ihre vom Präsidenten angeführte Kommission zur Entwicklung umfassender und tiefgreifender Aktionen bei ihrem jüngsten Reformpaket König Fußball einen Logenplatz gibt.Die Details der Fußballreform sind bislang nicht klar umrissen, aber es soll auf allen Ebenen etwas ins Rollen kommen – in einem Zusammenspiel aus staatlichen Maßnahmen und marktwirtschaftlichen Anreizen. So gibt es Pläne zum Aufbau von 50 000 staatlichen Fußballschulen in den kommenden zehn Jahren. Die Chinese Football Association soll künftig unter der Mitwirkung von Profispielern und mit neuer Mittelausstattung direkt dem Staatsrat unterstehen. *Für ideologische Unterstützung ist in jedem Fall gesorgt: “Die Revitalisierung des Fußballsports in China ist ein Muss, um China zu einer mächtigen Sportnation heranreifen zu lassen, als einem wichtigen Element des chinesischen Traums; und es ist auch das, was das Volk wünscht”, heißt es in einer feierlichen Erklärung der Zentralen Reformkommission.Das Interesse an Fußball muss auch nicht erst geweckt werden, denn China ist das Land mit den weltweit meisten Fans. Sie legen hohe Qualitätsansprüche an den Tag und scheuen selbst keine Anstrengung, um sich zu jeder Tages- und Nachtzeit die Weltmeisterschaft, die Champions League und alles, was sich in der Bundesliga oder der britischen Premier League tut, am Bildschirm reinzuziehen.Das Dumme an der Sache ist nur, dass sich niemand für die heimischen Ligen interessiert und kaum einer auf die Idee kommt, selbst von klein auf Fußball zu spielen. Das Gros der Bevölkerung wohnt in Hochhausanlagen, die alles, nur keinen Freiraum und damit auch keinen Bolzplatz bieten. Zeit für Sport bleibt den chinesischen Schulkindern ohnehin nicht, da sie von der Knute des Bildungs- und Familiensystems von früh bis spät zum Büffeln angetrieben werden. Dass sie dennoch gemeinhin einen äußerst sportlichen Eindruck machen, liegt nur daran, dass chinesische Schuluniformen wie Trainingsanzüge daherkommen.