„Der Dollar genießt zu viel Vertrauen“
Im Interview: William White
„Der Dollar genießt zu viel Vertrauen“
William White war lange Jahre Chefökonom der BIZ, der Bank der Notenbanken in Basel. Inzwischen gehört er zu deren schärfsten Kritikern. Im Gespräch mit der Börsen-Zeitung hinterfragt der Kanadier deren jahrzehntealte Rezepte in der Krisenbekämpfung, die von der Lösung zum Problem mutiert seien.
Herr White, mit Argentinien will erstmals eine große Nation den US-Dollar als Landeswährung übernehmen. Wie beurteilen Sie die Erfolgschancen?
Ich habe mir noch nie überlegt, ob sich die Erfolgswahrscheinlichkeit verändert, wenn ein großes Land die eigene Währung aufgibt und den Dollar annimmt. Es gibt die bekannten Beispiele von kleinen oder kleineren Ländern wie Panama oder Ecuador, die es getan haben. Aber deren Motiv für den Währungswechsel war das gleiche wie das von Javier Milei: Man will die notorisch hohen Inflationsraten unter Kontrolle bringen.
Wer Geldpolitik für andere Länder betreibt, übernimmt Verantwortung. Könnte sich die Fed dagegen sträuben?
Das glaube ich nicht. Die Fed hat den Auftrag, die Geldpolitik zu betreiben, die für die Vereinigten Staaten von Amerika passt. Was in anderen Ländern passiert, ist zweitrangig. Diese Erfahrung hatte Argentinien schon vor 30 Jahren gemacht. Carlos Menem knüpfte 1991 den Wechselkurs des Peso sehr eng an den Dollar, um der damaligen Hyperinflation in Argentinien Herr zu werden. Das Experiment schien zunächst zu funktionieren, aber dann erhöhte die Fed 1994 schnell und kräftig die Zinsen. Argentinien stürzte 2001 in eine tiefe Wirtschaftskrise, die das Land bis heute nicht überwunden hat. Im Prinzip kann ein Land mit dem US-Dollar nur glücklich werden, wenn die Regierung in der Lage ist, eine Haushaltsdisziplin durchzuhalten. Aber wenn eine Regierung diese Haushaltsdisziplin hat, dann braucht sie den Dollar nicht.
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Der Kanadier William White war von 1995 bis 2008 Chefökonom der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) in Basel. Danach leitete er in der OECD den für die Länderberichte zuständigen Ausschuss. Der mehrfach ausgezeichnete Ökonom ist seiner früheren Rolle als Gewissen der Notenbanken treu geblieben und warnt in Kolumnen und auf Veranstaltungen weiterhin regelmäßig vor den Entgleisungen der Geldpolitik und der fragilen Finanzstabilität.
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Die Vereinigten Staaten von Amerika sind ja nicht unbedingt ein Vorbild für andere Länder in puncto Haushaltsdisziplin, oder?
Nein, die USA sind sicher kein Vorbild in dieser Hinsicht. Trotzdem genießt der Dollar immer noch sehr viel Vertrauen in der Welt. Ich würde deshalb sagen, der Dollar genießt zu viel Vertrauen.
Wie geht das Argument?
Die USA verfügen mit dem Dollar über die mit Abstand wichtigste Reservewährung in der Welt. Ein Land mit einer solchen Währung genießt sehr große Vorteile. Es kann wertvolle Waren einführen und diese mit einem Stück Papier bezahlen, dessen Werthaltigkeit mindestens viel weniger eindeutig ist als jene der importierten Ware. Aber der Deal funktioniert trotzdem, weil die ganze Welt bereit ist, Dollar zu halten und mit Dollar zu zahlen. Der belgische Ökonom Robert Triffin identifizierte das Problem schon 1959 anhand einer Fehlkonstruktion im damaligen Weltwährungssystem Bretton Woods. Die USA hatten mit dem goldgedeckten Dollar eine starke Währung und einen starken Anreiz, mehr zu importieren als zu exportieren. Im Prinzip hätte das wachsende Zahlungsbilanzdefizit der USA das Vertrauen in den Dollar schwächen müssen, aber das war nicht der Fall. Es gibt offensichtlich Systeme, die fundamental instabil sind, die aber viel länger funktionieren können, als man erwarten würde.
Was könnte das System zum Kippen bringen?
Vielleicht die US-Fiskalpolitik. Das Budgetdefizit beläuft sich derzeit auf 8% des Bruttoinlandsproduktes – und das auf dem Höhepunkt des Konjunkturzyklus. So etwas konnte ich mir vor wenigen Jahren noch kaum vorstellen. Zehn Jahre nach der Rückstufung durch Standard & Poor’s erwägt nun auch Moody’s offiziell, den USA die Bestnote für deren Kreditwürdigkeit zu entziehen. Als Grund dafür gibt die Ratingagentur nicht die hohe Verschuldung oder das hohe Budgetdefizit an, sondern die Polarisierung in der Politik. Während die Demokraten seit Jahren als einzige fiskalpolitische Maßnahme nur noch höhere Steuern akzeptieren, bestehen die Republikaner ebenso stur auf Ausgabenkürzungen als einziger Maßnahme.
Wo sehen Sie denn den Ausweg aus dieser Schuldenfalle?
Wir sollten zuerst einmal ehrlich sein und uns eingestehen, dass ein bedeutender Teil der globalen Schulden nie zurückgezahlt werden wird.
Wie gelangen Sie zu dieser pessimistischen Sicht?
Es ist einfach eine Tatsache, dass es sehr viele schlechte Schuldner da draußen gibt. Etwa die Hälfte aller Unternehmensschulden genießt eine Bonitätsnote von „BBB“. Direkt unterhalb dieses Ratingbereichs nehmen die Risiken von Zahlungsausfällen stark zu. Etwa 60% der Staatsschulden aller einkommensschwachen Länder sind gemäß dem Internationalen Währungsfonds bereits notleidend oder unmittelbar von einem Zahlungsausfall bedroht. Viele Länder geben mehr für Zinszahlungen aus als für das eigene Gesundheitssystem.
Warum bekommen wir das Problem nicht in den Griff?
Ein wichtiger Grund ist, dass wir keine geeigneten Verfahren haben, mit Schuldenrestrukturierungen umzugehen. Die Welt wäre zu Tode erschrocken, wenn die Schweiz die Credit Suisse hätte in Konkurs gehen lassen. Dabei wissen wir schon lange, dass auch große, systemrelevante Banken untergehen können. Aber wir lassen es nicht zu, weil wir das Chaos fürchten, das ein unkoordinierter Konkurs auf den Finanzmärkten anrichten kann. Wir sollten anfangen, ernsthafter über die systemischen Folgen unserer Geld- und Wirtschaftspolitik nachzudenken.
Meinen Sie die Notenbanken?
Nicht nur, aber die Notenbanken haben viel Verantwortung, die sie in den vergangenen 30 Jahren viel zu wenig wahrgenommen haben. Die Finanz- und Währungskrisen kehren in immer kürzeren Abständen und mit einer immer größeren Heftigkeit zurück. Als ich 1994 bei der BIZ in Basel zu arbeiten anfing, war gerade die Tequila-Krise im Gang. 1997 kam die Währungskrise in Südostasien. 1998 folgte die Pleite des LTCM-Hedgefonds, der auch die UBS und andere Großbanken in Schwierigkeiten brachte. 2001 platzte an den Börsen die Dotcom-Blase, und sechs Jahre später begann die globale Finanzkrise. Die Antwort der Notenbanken war jedes Mal dieselbe: Die Märkte wurden zu ihrer Beruhigung mit Liquidität geflutet und die Geldpolitik für längere Zeit stark gelockert. Im Prinzip wandten auch die meisten Regierungen dieses gleiche Rezept an, als sie während der Corona-Pandemie die Wirtschaft mit gigantischen fiskalischen Maßnahmen schützten.
Hätte man den Krisen denn jedes Mal freien Lauf lassen müssen?
Nein. Maßnahmen zur Beruhigung der Märkte sind angemessen, aber die Zinsen über lange Zeiträume sehr tief zu halten ist nicht angemessen. Zudem werden Lösungen zum Problem, wenn sie immer und immer wieder angewendet werden. So verliert die Geldpolitik nicht nur ihre Wirkung, es häufen sich auch die unerwünschten Nebenwirkungen wie der
globale Schuldenaufbau. Die Notenbanken glauben zu sehr an die Projektionen ihrer begrenzten, linearen ökonomischen Modelle, und sie tragen systemischen und nichtlinearen Reaktionen zu wenig Rechnung.
Das Interview führte Daniel Zulauf.