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Der eiserne Duke rennt gegen Brüsseler Mauern

Von Benjamin Triebe, London Börsen-Zeitung, 9.3.2019 Vielleicht lag es am Stress, jedenfalls vergaß Geoffrey Cox die feine englische Art. Cox führt im Auftrag der britischen Premierministerin Theresa May die Brexit-Verhandlungen mit der EU. Als er...

Der eiserne Duke rennt gegen Brüsseler Mauern

Von Benjamin Triebe, LondonVielleicht lag es am Stress, jedenfalls vergaß Geoffrey Cox die feine englische Art. Cox führt im Auftrag der britischen Premierministerin Theresa May die Brexit-Verhandlungen mit der EU. Als er am Donnerstag im Parlament in London dazu befragt wurde, nahm Cox Bezug darauf, dass die Fortschritte für einen Zusatz zum Vertrag über den EU-Austritt (“Cox’s codicil”) sehr vage sind und in manchen Augen zu “Cox’s codpiece” schrumpfen – sinngemäß Hosenlatz oder Schamkapsel, eine Mode aus der Renaissance, welche das männliche Genital verdeckte. “Ich möchte versichern, dass hinter meinem Hosenlatz alles vollständig funktioniert”, erklärte Cox dem überraschten Parlamentspräsidenten.Wenigstens etwas funktioniert also, ließe sich kommentieren. Die Bilanz der jüngsten Brexit-Verhandlungen ist nämlich ernüchternd. Zusammen mit Brexit-Minister Stephen Barclay pendelt Cox, der das Amt des Generalstaatsanwalts bekleidet, seit Februar zwischen London und Brüssel. Er versucht, die EU zu Zugeständnissen bei dem sogenannten Backstop zu bewegen – einer Notfallregelung, die bei einem Scheitern der Verhandlungen über die künftigen Beziehungen Grenzkontrollen zwischen Nordirland und der Republik Irland verhindern soll. Ohne diese Änderungen hat May keine Chance, eine für den kommenden Dienstag angesetzte neue Parlamentsabstimmung über den Austrittsvertrag zu gewinnen.Es ließe sich vermuten, ob der Tragweite und des Zeitdrucks habe May diese Aufgabe einem im Umgang mit der EU erfahrenen Unterhändler anvertraut. Das Gegenteil ist der Fall. Der 58-jährige Geoffrey Cox hatte vor Februar nie eine vergleichbare Aufgabe. Sein Weg ins Rampenlicht war steil: May berief Cox erst im vergangenen Sommer im Rahmen einer Kabinettsumbildung zum Generalstaatsanwalt. Damals war David Davis zurückgetreten, der erste Brexit-Minister der Regierung May. Barclay ist bereits der dritte.Die Aufgaben des Generalstaatsanwalts seiner Majestät für England und Wales, wie er mit vollem Titel heißt, gehen weit über die Strafverfolgung hinaus. Cox beaufsichtigt nicht nur verschiedene Ermittlungsbehörden, sondern auch den Rechtsdienst der Regierung. Er ist zudem Mitglied der Regierung und gemäß den britischen Gepflogenheiten gleichzeitig Abgeordneter. Cox vertritt seit dem Jahr 2005 für die Tories einen Wahlkreis im südenglischen Devon.Er ist ein ausgesprochener Befürworter des Brexit. Zugleich ist er als Generalstaatsanwalt der oberste Rechtsberater der Regierung. Von seiner Beurteilung der Verhandlungsergebnisse hängt viel ab. Das zeigte sich im Dezember 2018, als er stark zum Widerstand gegen den von May mit der EU ausgehandelten Austrittsvertrag beitrug: Der Backstop soll eine harte Grenze auf der irischen Insel ausschließen, indem das Königreich in einer Zollunion mit der EU verbleibt und Nordirland eng an den Binnenmarkt der Union angebunden wird. Cox hielt in seiner nur zögerlich verbreiteten Einschätzung fest, dass diese Regelung zeitlich unbegrenzt anhalten könnte. Das stimmt: Eine befristete Notfalllösung ist keine echte Notfalllösung.Das Risiko, trotz eines Austritts in der Nähe der EU gefangen zu sein, ließ viele Tory-Abgeordnete im Januar gegen den Austrittsvertrag stimmen. Die Niederlage, bei der May 230 Stimmen zur Mehrheit fehlten, war eine der höchsten in der britischen Geschichte. Cox versuchte deshalb in den vergangenen Wochen, in Brüssel eine Änderung des Backstop auszuhandeln: sei es ein klares Enddatum, ein unilateraler Ausstiegsmechanismus oder eine konstante Überprüfung durch externe Gerichte, die einer Partei den Ausstieg erlauben dürften. Das blieb bis heute erfolglos.Innenpolitisch war es klug von May, Cox nach Brüssel zu schicken: Der bereits 35 Jahre als Anwalt tätige Cox ist unter den Brexit-Anhängern der Partei beliebt. Er gilt als unabhängig, glaubwürdig und wird ob seines robusten Auftretens und seiner theatralischen Rhetorik geachtet (ungeachtet des jüngsten Fehltritts). Als er im Februar zu seiner Brexit-Aufgabe berufen wurde, teilte er auf dem Kurznachrichtendienst Twitter ein Porträt des Duke of Wellington, des britischen Heerführers gegen Napoleon. Die Botschaft: So eisern wie der “eiserne Duke” werde er sein. In Brüssel hingegen hat sich Cox mit seiner offensiven Art dem Vernehmen nach wenig Freunde gemacht.Hinter den Kulissen werden die Verhandlungen über das Wochenende weitergehen. Falls es einen Durchbruch gibt, könnten viele Tories am kommenden Dienstag für May stimmen, und Cox könnte seine Bedenken geheilt wissen. Für den Moment bleiben der Premierministerin aber nur Appelle an ihre Parteifreunde.