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Der Esel bekommt einen neuen Sack

Börsen-Zeitung, 3.11.2018 Eine Woche ist es erst her, da sind CDU und SPD in der Hessen-Wahl drastisch abgestraft worden. Den Wahlanalysen zufolge schlug der Wähler den Sack und meinte den Esel, sprich die Regierungskoalition in Berlin aus CDU und...

Der Esel bekommt einen neuen Sack

Eine Woche ist es erst her, da sind CDU und SPD in der Hessen-Wahl drastisch abgestraft worden. Den Wahlanalysen zufolge schlug der Wähler den Sack und meinte den Esel, sprich die Regierungskoalition in Berlin aus CDU und SPD. Und was ist die Konsequenz dieser Erkenntnis? Der Esel soll einen neuen Sack bekommen. Im Dezember. Jetzt diskutiert die Republik über die Kandidaten für den künftigen CDU-Vorsitz, über Vor- und Nachteile einer Ämtertrennung von Parteivorsitz und Kanzlerposten und über den angeblich drohenden Rechtsruck einer über die Jahre nach links gedrifteten Volkspartei. Neue Ideen, wie die Volksparteien und die von ihnen gestellte Regierung den Vertrauens- und Wählerverlust stoppen oder umkehren könnten? Fehlanzeige. Neue Antworten auf die drängenden Themen der Zeit wie Migration, Globalisierung, Klimawandel und Digitalisierung? Ebenfalls Fehlanzeige. Heilige AngelaDie Bundeskanzlerin scheint diese Antworten nicht mehr geben zu wollen und auch nicht geben zu müssen. Ihre Rückzugsankündigung als CDU-Chefin im Dezember 2018 und als Kanzlerin spätestens 2021 bewirkte offensichtlich eine Generalabsolution: Mit einem Mal ist Angela Merkel nicht mehr die Chefin einer Regierung, die nach eigenem Bekunden ein “inakzeptables” Bild abgibt, sondern die kluge Staatsfrau, die selbstbestimmt die Bühne verlässt. Die “Neue Zürcher Zeitung” schrieb gar ironisch, Merkel sei zur “Heiligen der deutschen Politik” geworden. In der Tat: Welche Verklärung des angeblich souveränen Rückzugs. Was denn ist souverän daran, wenn man fluchtartig die brennende Hütte verlässt?Immerhin hat Merkel gemerkt, dass es brennt. SPD-Vorsitzende Andrea Nahles dagegen hat sich angesichts der Wähler-Watschen in Bayern und Hessen lieber erst mal wie ein trotziges Kind die Mütze über den Kopf gezogen in der Hoffnung, nichts sehen zu müssen und nicht gesehen zu werden. Zugleich macht Vize-Kanzler und Finanzminister Olaf Scholz unbeeindruckt weiter, als wenn überhaupt nichts passiert wäre. Und als ob es in der Republik keine wichtigere Zukunftsaufgabe zu lösen gäbe als die Erhöhung des Mindestlohns, nimmt er die von der Fachkommission empfohlene Anhebung um 0,35 auf 9,19 Euro zum Anlass, für eine baldige Erhöhung auf 12 Euro zu plädieren und am gesetzlich festgelegten Anpassungsprozedere zu rütteln. Aber vielleicht ahnt er ja schon, dass er schneller als gedacht nicht mehr in Regierungsverantwortung stehen könnte und es dann an ihm liegen würde, den sozialdemokratischen Markenkern der SPD zu definieren und das Profil der SPD zu schärfen.Mit der Rückbesinnung auf politische Positionen der Vor-Merkel-Ära wird das aber nicht gelingen, weder der SPD noch der CDU. Insofern sollte die Union sich nicht der Nostalgie hingeben und sich an der Wiederauferstehung des Polittalents Friedrich Merz berauschen. So intellektuell belebend, analytisch bestechend und rhetorisch brillant Merz sein Comeback auch inszeniert – ein Neuanfang gelingt nicht mit den Köpfen und Bierdeckeln von gestern. Das gilt für den CDU-Vorsitz, und mehr noch für die damit verknüpfte Kanzlerkandidatur. Merz mag im Sauerland als Landsmann noch viele Verehrer haben, in der Partei für seine erfrischende Offenheit und Geradlinigkeit beklatscht, in der Unternehmerschaft und der Finanzwelt wegen seiner klaren ordnungspolitischen und marktwirtschaftlichen Linie geschätzt werden. Aber würde ein führender Kopf des kapitalistischen Establishments, und als solcher wird Merz als Chairman der deutschen BlackRock-Tochter in weiten Teilen der Republik wahrgenommen, als Kanzlerkandidat in der Lage sein, die an AfD und Grüne verlorenen Wähler zur Union zurückzulocken? Wohl kaum. Werden die Wähler ihm als Kanzlerkandidaten, der dann Mitte 60 ist, die Kompetenz in Sachen demografischer Wandel, Digitalisierung und Gestaltung der Zukunft zutrauen? Wohl eher nicht. Hansdampf MerzMedienmenschen mögen Merz, weil er immer für ein knackiges Zitat und eine flotte Schlagzeile gut ist. Seine Kompetenz freilich liegt eher in der Analyse und Beratung als in der Exekutive und operativen Verantwortung. Er hat nie eine größere Organisation oder ein Ministerium geführt. Als Lobbyist versteht er sich aufs Netzwerken, die zahlreichen Ämter und Mandate untermauern seinen Ruf als Hansdampf in allen Gassen.Aber hätte er auch das Stehvermögen, ein dickes Brett zu bohren, wie es die Führung einer Jamaika-Koalition zweifelsohne wäre? Als Merz sich 2002 beim CDU-Fraktionsvorsitz nicht gegen Merkel durchsetzen konnte, zog er sich schrittweise aus der Politik zurück. Jetzt, wo Merkel das Feld räumt, kommt er zurück. Das mag mancher nachhaltig nennen. Opportunistisch wäre die passendere Bezeichnung.Wenn die Stimmenverluste der Union, die ja nicht erst seit den Landtagswahlen dieses Oktobers zu verzeichnen sind, eine Botschaft transportierten, dann jene: Ein “Weiter so” geht nicht. Merkel selbst sprach von der “Zäsur” und davon, “dass wir alles auf den Prüfstand stellen, was wir spätestens seit der Bundestagswahl bis heute gesagt und getan haben”. Wenn das Ergebnis des “persönlichen Innehaltens und Nachdenkens” von Merkel der Verzicht auf den Parteivorsitz ist, wie kann dann die von Merkel im Februar 2018 als CDU-Generalsekretärin und damit rechte Hand eingesetzte Annegret Kramp-Karrenbauer die richtige Kandidatin für den Parteivorsitz und womöglich das Kanzleramt sein? Da darf man gespannt sein auf die Erläuterungen der Generalsekretärin in der neuen Woche. Neustarter SpahnInsofern war der Titel jenes Gastbeitrags am Donnerstag in der FAZ gut gewählt, mit dem sich Jens Spahn als Parteivorsitzender und Kanzlerkandidat empfahl: “Ein echter Neustart für die CDU und Deutschland”. Diesem Anspruch kann unter den bisher drei ernst zu nehmenden Bewerbern nur Spahn gerecht werden.—– c.doering@boersen-zeitung.de—– Von Claus DöringEine Rückbesinnung auf politische Positionen der Vor-Merkel-Ära wird weder CDU noch SPD die Wähler zurückbringen.—–