GASTBEITRAG

Der Euro in der Post-Corona-Zeit

Börsen-Zeitung, 3.7.2020 Vor dem Hintergrund der auch in der längerfristigen Perspektive immer aggressiveren Geldpolitik in Europa stellt sich für viele Anleger derzeit verstärkt die Frage, welche Anlagealternativen weltweit bestehen, was wiederum...

Der Euro in der Post-Corona-Zeit

Vor dem Hintergrund der auch in der längerfristigen Perspektive immer aggressiveren Geldpolitik in Europa stellt sich für viele Anleger derzeit verstärkt die Frage, welche Anlagealternativen weltweit bestehen, was wiederum die Frage nach der weiteren Wechselkursentwicklung aufwirft. Angesichts der Vielzahl der tiefgreifenden Strukturbrüche in der Weltwirtschaftsordnung ist die Unsicherheit über die weitere Entwicklung diesbezüglich derzeit besonders hoch. Europa im ZwiespaltMit dem Erreichen der Nullzinsgrenze werden tradierte Erklärungsmuster für die Wechselkursentwicklung zunehmend unscharf, während vor allem die Bedeutung der handelspolitischen Rahmenbedingungen weiter zunehmen wird. Die europäische Politik gerät hier sukzessive in einen mehrdimensionalen strategischen Konflikt zwischen ihrer sicherheitspolitischen Bindung an die USA und der zunehmenden Bedeutung des asiatisch-pazifischen Wirtschaftsraumes als globalen Wachstumstreiber und Handelspartner. Die Intensität des Handelskonfliktes blieb für die Europäer dabei bislang noch eng begrenzt, die Wirkungen des Phase-One-Deals zwischen China und den USA werden aber auf dem aktuellen Stand zu einer systematischen Schwächung der Überschüsse in der deutschen Leistungsbilanz führen, die ihrerseits die Überschüsse im Saldo des Außenhandels der EU insgesamt maßgeblich prägen. Da der Außenhandelssaldo Deutschlands bzw. Europas nach unserer Einschätzung eine höchst signifikante Einflussgröße für die Wechselkursentwicklung des Euros ist, gehen wir davon aus, dass allein schon die handelsumlenkenden Effekte mit der Zeit erheblichen Einfluss auf die Wechselkursentwicklung entfalten werden.Jenseits der handelspolitischen Fragen dürfte die Kumulation von Belastungsfaktoren (Lehman-Krise, Handelskonflikt und Corona-Krise) geeignet sein, wenn nicht den Bestand der Währungsunion, so doch zumindest den wirtschaftspolitischen Status quo in der Eurozone auf die ultimative Probe zu stellen. Bereits die Lehman-Krise bescherte der Union ein “verlorenes Jahrzehnt”, währenddessen das Outputniveau annähernd stagnierte. Bis zuletzt gelang es dabei nicht, die strukturellen Probleme der unterschiedlichen Entwicklungen hinsichtlich der preislichen Wettbewerbsfähigkeit – also ein Kernproblem der Währungsunion – in den Griff zu bekommen, was wesentlich zu dem signifikant niedrigen Outputpfad der letzten Dekade beigetragen hat. Die dauerhafte Unterschreitung des Potenzialpfades spiegelte sich trotz einer langen Phase negativer Realzinsen in einer systematischen Verschiebung des Pfades der Inflationserwartungen wider – eine Entwicklung, die eine Notenbank schon qua gesetzlichen Auftrag nicht tolerieren kann. EU-Wirtschaft fällt zurückInsgesamt war die Eurozone nach unserer Einschätzung schon vor der Corona-Krise den wirtschaftlichen Herausforderungen grundsätzlich nicht mehr gewachsen. Wir erwarten zwar, dass die Weltwirtschaft in toto bereits zum Ende des kommenden Jahres wieder das Outputniveau der Vorkrisenzeit erreicht. Aus unserer Sicht ist es aber gleichwohl höchstwahrscheinlich, dass das europäische Krisenmuster wieder dem der Jahre 2008 bis 2014 folgt, so dass es in Europa abermals erheblich länger dauern dürfte, bis die Krise überwunden wird.Bis zur Stunde sind die konjunkturellen Wirkungen der Corona-Pandemie auf den Unterschied der transatlantischen Konjunkturentwicklung noch schwer zu taxieren, auch weil die USA im Corona-Zyklus hinter dem Euroland rangieren. Vor allem wenn es nicht gelingt, eine glaubhafte und ausreichend dimensionierte fiskalische Perspektive zur Stützung der Wirtschaft zu generieren, dürfte die Wirtschaft in der Eurozone im globalen Quervergleich weiter zurückfallen. In diesem Szenario wird sich der Kontrast zwischen dem Zinspfad in Europa und den USA perspektivisch stärker akzentuieren, wenn die US-Notenbank ihre Geldpolitik wieder normalisiert, während ein Ende etwa immer umfangreicherer QE-Programme in Europa so bald nicht in Sicht kommen wird. Euro wird abwertenVor dem Hintergrund der obigen Indikation dürfte es nicht überraschen, wenn die EZB im weiteren Verlauf alle bisherigen Beschränkungen der Geldpolitik außer Kraft setzen muss und wird. Dies kann sie zunächst im geldpolitischen Fahrwasser der US-Notenbank noch vergleichsweise legitim und politisch geräuschlos tun, auch wenn sich Konflikte zwischen dem Geist der europäischen Verträge und der monetären Realpolitik bereits jetzt erheblich zugespitzt haben, wie die zwischenzeitliche Krise im Rahmen der Debatte um das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes beleuchtet. Einmal mehr bewahrheitet sich die Einschätzung, dass die europäische Integration ein grundsätzlich offener historischer Prozess ist, der einem dialektischen Muster folgt: Derzeit steigt der Druck zur weiteren Vergemeinschaftung enorm an, so dass weitere Fiskalpakete gepaart mit einer grundsätzlichen ordnungspolitischen Neuorientierung der Geldpolitik im Rahmen der Entstehung neuer Legitimationsparadigmen zu erwarten stehen. Der Weg zu einem effizienten wirtschaftspolitischen “Nation Building” ist im Rahmen des europäischen “Bargainings” aber noch lang. Insofern ist derzeit davon auszugehen, dass sich die wirtschaftspolitischen Probleme eher noch weiter zuspitzen werden, bevor es perspektivisch zu einer Besserung kommen kann. Vor dem Hintergrund der obigen Erwägungen gehen wir daher grundsätzlich davon aus, dass der seit dem Jahre 2008 vorherrschende strukturelle Trend zur Abwertung des Euro gegenüber dem US-Dollar grundsätzlich Bestand haben wird. Auf Jahresfrist erwarten wir eine Aufwertung des US-Dollars auf Kurse um 1,04 Euro/Dollar. Jan Bottermann, Chefvolkswirt National-Bank