Der Fuchs im Schafspelz
Den fröhlichen Essern im Yangtze-Delta bleibt in diesem Frühjahr so mancher Fleischbissen im Halse stecken, es gibt eine Menge unappetitlicher News zu verdauen. Wenn, wie im März geschehen, gut 10000 tote Ferkel den Huangpu-Fluss Richtung Schanghai herabtreiben, kommen erste Fragen auf. Könnte die ungewöhnliche Massenentsorgung von woran auch immer gestorbenen Rüsseltieren darauf hindeuten, dass nicht alles, was sich als Schweinefleisch in der Lebensmittelkette wiederfindet, auch wirklich als frisch geschlachtet bezeichnet werden kann?Hühner und Enten aus garantiert frischer Schlachtung gibt es seit April nicht mehr zu haben. Der Gang zum Geflügelmarkt, wo man nur auf einen Käfiginsassen deuten muss, um ihn Minuten später mit umgedrehtem Hals und gut gerupft in der Plastiktüte mit nach Hause zu nehmen, wirkt schon fast wie ein Relikt aus guten alten Zeiten. Das Federvieh aus Schanghai und der umgebenden Provinz Jiangsu hat als Übertragungsquelle des neuen Vogelgrippevirus H7N9 traurige Weltberühmtheit erlangt.* In der Region wird um die Vielfalt des Speisezettels gebangt. Auf die Frage: “Geht denn nur noch Rind?”, wurde in den Medien die Losung “Leute, esst mehr Lamm” ausgegeben. So hat man jede Menge kreative Rezepte in Umlauf gebracht, um die verzweifelte Hausfrau auf neue Ideen zu bringen.Geballte Kreativität ist aber nicht nur in die Verwendung, sondern vor allem auch in die “Herstellung” von Lammfleisch in Jiangsu und Schanghai gegangen. Die gute Nachricht: Einer kriminellen Bande, die unlauteres Lamm im großen Stil in den Umlauf gebracht haben soll, ist nun das Handwerk gelegt worden.Die schlechte Nachricht: Es handelte sich dabei nicht, wie meist in solchen Fällen, um irgendwelche Gammel-Hammel, die als Jungschafe ausgegeben werden, sondern um eine aufwendige Neukonstruktion. Der Bande ist es gelungen, aus dem Fleisch von Füchsen, Ratten, Mardern und Nerzen sowie der Beigabe von Gelatine, Pigmenten und Nitraten eine täuschend echte Lammtextur nachzubilden.Die Behörden haben inzwischen zwar einen reich bebilderten Leitfaden online gestellt, wie man das falsche Lamm an der allzu gleichmäßigen Fettmaserung erkennen kann, aber wer würde schon beim Hotpot-Essen (chinesisches Fondue) jedes Fitzelchen mit der Lupe untersuchen, bevor es in der Brühe verschwindet.*Die Schafsraubkopierer sollen auf sehr ansehnliche Umsätze von über 10 Mill. Yuan (1,3 Mill. Euro) gekommen sein. Das spricht für eine Prise geschickten Entrepreneurships, hohe Fertigungsstandards und vor allem ein ausgefeiltes Lieferkettenmanagement, das einige Fragen aufwirft, die nun in sozialen Netzen neben den üblichen Ekeltiraden heiß diskutiert werden. Denn wie schafft man es eigentlich, tonnenweise an Füchse und Nagetiere, die im Zweifelsfall erst einmal gejagt werden müssen, heranzukommen? Und wie hoch sind die Margen in solch einem Geschäft? Und wäre es bei dem vermutlich beträchtlichen Aufwand nicht unkomplizierter gewesen, statt Kammerjäger und Wilderer einfach Schafsdiebe anzuheuern?Strahlende Gesichter machen in den Schanghaier Markthallen vor allem die Gemüsehändler. Sie haben ihre eigene Antwort auf die Problematik und lassen die Preise diskret anziehen. Da man bislang nicht weiß, wohin genau das gefälschte Schaffleisch verkauft wurde, stehen die Fleischtheken hingegen unter Generalverdacht, und Menschenandrang hiervor hat weniger etwas mit Kauflust als mit Diskussionsbedarf zu tun.Es lohnt sich, hier einmal vorbeizuschnuppern. Aufgebrachte Einheimische lassen den Ausländer ungefragt wissen, dass sie am liebsten gleich auswandern würden, dorthin, wo man noch einwandfreies Fleisch bekommt. Der Versuch, Trost zu spenden mit dem Verweis, dass in Europa ja unlängst auch ein Fleischskandal die Gemüter bewegt hat, erntet erst recht sehnsüchtige Seufzer: “Ach, wie schön wäre das, wenn man uns auch hier einfach nur ein bisschen echtes Pferdefleisch unterjubeln könnte.”