Der Gipfel der Hoffnungslosigkeit

Eine Einigung auf einen neuen mehrjährigen EU-Haushaltsrahmen scheint in dieser Woche kaum möglich

Der Gipfel der Hoffnungslosigkeit

Die Erwartungen an den morgigen Sondergipfel zum neuen Finanzrahmen der EU sind äußerst gering. Mit einer Verständigung rechnet in Brüssel kaum jemand. Der jüngste Kompromissvorschlag von EU-Ratspräsident Charles Michel scheint eine Einigung eher noch erschwert zu haben. Von Andreas Heitker, BrüsselAllein aus Estland, Lettland und Litauen werden am morgigen Donnerstag rund 200 Landwirte in Brüssel erwartet, die ihrem Unmut Luft machen. Die baltischen Bauern fühlen sich nicht gerecht behandelt und verlangen künftig mehr Geld aus dem EU-Haushalt. Auch die Kreativbranche ist unzufrieden. Als “unakzeptabel” wies gestern der Kultur-Ausschuss des Europaparlaments den jüngsten Entwurf für den nächsten EU-Haushaltsrahmen ab 2021 ab. Das Europäische Komitee der Regionen malt gleich das Gespenst an die Wand, die EU streiche Mittel für Krankenhäuser und Schulen, den Nahverkehr, die Umwelt, Universitäten und Kleinunternehmen. “Ein Geschenk an den Populismus”, sagt der Präsident der Organisation, Apostolos Tzitzikostas. Es geht ja auch um viel: Für die Mehrheit der EU-Mitgliedstaaten machen die Fördermittel aus Brüssel für Kohäsion, Landwirtschaft und ländliche Entwicklung etwa 50 % der gesamten öffentlichen Investitionen aus.Der neue siebenjährige EU-Finanzrahmen – der erste nach dem Brexit und damit dem Verlust eines der größten Nettozahler der Union – mobilisiert die Menschen. EU-Ratspräsident Charles Michel hat die Staats- und Regierungschefs für morgen zu einem Sondergipfel nach Brüssel geladen, um eine Verständigung zu finden. Doch die Kritik an seinem letzte Woche vorgelegten Kompromissvorschlag reißt nicht ab. Michels Plan zündet nichtDie “sparsamen vier”, also die Niederlande, Österreich, Dänemark und Schweden, wollen die Beitragszahlungen mit aller Macht weiter begrenzen. Anderen, wie etwa dem Europaparlament, ist das Volumen des Budgets viel zu gering – auch angesichts der vielen neuen Zukunftsaufgaben, die finanziert werden sollen. Deutschland als der mit Abstand größte Nettozahler fühlt sich ungerecht behandelt, weil nicht nur die Beiträge von Berlin überproportional steigen werden, sondern weil zusätzlich auch noch der bisherige Rabatt wegfallen soll. “Der neue Kompromissvorschlag von Michel macht eine Einigung am Donnerstag noch schwieriger”, bringt es ein EU-Diplomat auf den Punkt.Der Belgier Michel hat schon gesagt, dass auch ihm vollkommen bewusst sei, dass diese Haushaltsverhandlungen zu den schwierigsten Verhandlungen überhaupt gehörten. Aber er sei auch davon überzeugt, “dass wir mit gesundem Menschenverstand und Entschlossenheit zu einer Einigung gelangen können, die allen Europäern zugutekommt”. Um dies zu erreichen, müssten allerdings alle Seiten auch Kompromissbereitschaft zeigen, sagt Michel, der in den vergangenen zwei Wochen einen wahren Marathon an Einzelgesprächen mit den Regierungen in den Mitgliedstaaten absolviert hat.Ein großer Erfolg wäre es schon, wenn sich der Sondergipfel auf eine Obergrenze für das Budget einigen könnte. Michel hatte für die sieben Jahre 2021 bis 2027 insgesamt Ausgaben von 1,095 Bill. Euro vorgeschlagen und damit ein Volumen von 1,074 % des Bruttonationaleinkommens (BNE). Die Alternativforderungen liegen zwischen 1,0 % (Niederlande, Österreich u. a.) und 1,3 % (Parlament) des BNE (siehe Grafik) – und ein Momentum hin zu mehr Kompromissbereitschaft kann in Brüssel aktuell niemand erkennen. EU-Parlamentspräsident David Sassoli bemerkte gestern: Im Moment liege man noch um rund 230 Mrd. Euro auseinander.Schon vor Wochen haben erfahrene Beamte darauf verwiesen, dass es immer erst einen Gipfel geben müsse, der krachend scheitere, um die Mitgliedstaaten von ihren Maximalforderungen abzubringen. Dieses Mal scheint dies nicht anders zu sein. Die Bundesregierung verlangt zwar auch eine Begrenzung auf 1,0 % des BNE, hat aber schon die Bereitschaft angekündigt, noch etwas draufzulegen – wenn denn die inhaltlichen Schwerpunkte im Budget richtig gesetzt werden. Sprich: weniger Geld für die traditionellen Ausgabenblöcke Agrar und Kohäsion, mehr für “neue” Aufgaben rund um Forschung und Entwicklung, Digitalisierung, Klima- und Grenzschutz. Berlin sieht falsche PrioritätenDass Michel hier gestrichen hat, kam in Berlin nicht gut an. Bundesfinanzminister Olaf Scholz forderte diese Woche in Brüssel, die Prioritäten neu zu definieren. Dass Zukunftsaufgaben zu wenig berücksichtigt würden, sei nicht akzeptabel.Hinzu kommt: Eigentlich sollen Auszahlungen aus dem EU-Haushalt künftig auch an die Erfüllung von Rechtsstaatlichkeitskriterien gekoppelt werden. Michel hat die Hürden für eine Sperre aber so hoch gesetzt, dass eine Sperre wohl nie zur Anwendung kommen würde. Auch dies könnte noch ein Knackpunkt der Verhandlungen werden.