Der kommunistische und der vatikanische Tango
20 Jahre und ein paar Tage ist es nun her, dass Wladimir Putin die Macht übernommen hat. Allmählich also reiht er sich ein in die Riege der autoritären Gerontokraten, von denen er sich angeblich hatte unterscheiden wollen. Wenn sein Vorgänger Boris Jelzin noch leben würde, dann müsste er mit ansehen, welche Richtung das relativ freie Russland der neunziger Jahre genommen hat, nachdem er Putin als seinen Nachfolger eingesetzt hatte. Jelzin war aber trotz seiner Trunksucht sicherlich Realist genug, um zu wissen, dass in Russland jede Entwicklung möglich ist.In Anbetracht von Putins 20-jährigem Amtsjubiläum beginnen in Russland allmählich die Analysen darüber, wie sehr sich das Land in dieser Ära verändert hat. Gemäß dem Sprichwort, dass etwas Großes nur auf (zeitliche und räumliche) Distanz zu erkennen ist, wird die wahre Bedeutung Putins erst in ferner Zukunft beurteilt werden können.Die Zwischenbeurteilungen bleiben derweil uneinheitlich, wobei die negativen Bewertungen zuletzt wieder überwogen haben. Das hat mit der mauen Wirtschaftssituation seit der Krim-Annexion 2014 und dem Ölpreisverfall zu tun. Aus dem Modus des Lebens im Wohlstand, der mit Putin und der Rohstoff-Hausse der Nullerjahre gekommen war, ist wieder ein Modus des Überlebens geworden. Das Schlimme: Es fehlt die Perspektive. Denn dass Putin dem Land noch einen Entwicklungsschub bringt, glaubt niemand mehr.Man muss dem jüngst geäußerten Befund von Georgi Satarow, “man hat uns die Zukunft gestohlen”, nicht vollinhaltlich zustimmen. Schließlich war der einstige Jelzin-Berater, der in den vergangenen 20 Jahren einen kontinuierlichen wirtschaftlichen und politischen Abstieg erkennt, von Anfang an ein Putin-Gegner. Aber Satarow hat in einem Punkt recht: und zwar darin, dass man die Bürger einiger Millionen jener fähigen Landsleute beraubt hat. Menschen, die mit ihrem Unternehmergeist die anderen gewöhnlich in die Zukunft mitziehen, die aber frühzeitig die autoritäre Entwicklung im Land erkannten und deswegen emigriert sind. Der Rest der Bevölkerung sitze heute wie “eine erstarrte Fliege gefangen im Glas”, so Satarow.Angesichts der für den 8. September anstehenden Kommunalwahlen in Moskau beginnt sie sich zu bewegen und zeigt sich in ihren Protesten gegen das schikanöse Kandidaturverbot für oppositionelle Kandidaten auch sehr hartnäckig. Wie gefährlich die angespannte Situation für die Machthaber wirklich ist, lässt sich nicht sagen.Was sich aber sagen lässt, ist, dass landesweit keine Zeit der Liberalen anbrechen dürfte. “Umfragen zufolge kommt dann die Revanche der linken Kräfte – mit dem Wunsch, einen guten Stalin, einen guten Zaren zu finden”, sagte Sergej Petrow, ehemaliger Duma-Abgeordneter der Opposition und Großunternehmer, kürzlich im Interview der Börsen-Zeitung.Petrow ist der prominenteste aus der Reihe jener Tycoons, in deren Unternehmen der Geheimdienst dieses Jahr massiv Razzien durchführte. Hat Petrow recht, so steht Russland also eine abermalige Rückkehr der kommunistischen, ultralinken Kräfte bevor. Schon Mitte der neunziger Jahre hatten die Kommunisten ja eine Revanche geplant, waren aber von Jelzin mit Hilfe der Oligarchen daran gehindert worden.Mit Putin gelang ihnen immerhin ein partieller Coup: Der einstige sowjetische Geheimdienstler hat zwar gegen den Widerstand der Hardliner erstmals Privateigentum an Grund und Boden durchgesetzt, aber ansonsten den Staatseinfluss auf die Wirtschaft massiv ausgeweitet und die Konfrontation mit dem Erzgegner USA wieder kultiviert. Und er hat viele der einstigen dirigistischen Hardliner zu den Futtertrögen und Schaltstellen des Staates vorgelassen.Das Problem mit den einstigen Kommunisten in Mittel- und Osteuropa – so einmal ein tschechischer Intellektueller im Gespräch – sei, dass sie gut bluffen und bei Bedarf einen Schritt zurücktreten, um dann zwei nach vorne zu machen. Ein unvatikanischer Tango gewissermaßen. Die Führung der katholischen Kirche nämlich, so ein Scherz im Westen, hat über die meiste Zeit einen Fortschritt dadurch simuliert, dass sie einen Schritt nach vorne setzte – und zwei nach hinten folgen ließ.