LÄNDERREPORT: GEORGIEN

Der liberale Teil des Kaukasus ist anders

Wirtschaft boomt dank der Baubranche - Wirtschaftsgesetzgebung soll ausländische Investoren anlocken - Aber begrenzte Anlagemöglichkeiten

Der liberale Teil des Kaukasus ist anders

Von Thomas Gitzel *)Georgien möchte anders sein und ist es auch. Das 4,4 Millionen Einwohner zählende Land sucht im globalen Wettstreit um Investitionen seine Nische. An Experimentierfreudigkeit mangelt es der georgischen Regierung dabei nicht. Schon allein der jugendliche Geist innerhalb der Regierungsmannschaft sorgt für frischen Wind. So ist die 28-jährige Wirtschaftsministerin Vera Kobalia eines der jüngsten Kabinettsmitglieder der Welt und wurde vom World Economic Forum zum “Young World Leader 2012” ausgezeichnet.Am östlichen Ufer des Schwarzen Meeres setzt man also ganz auf einen Neuanfang. Dieses Dogma zieht sich durch sämtliche Bereiche der Volkswirtschaft. Niederschlag findet es derzeit vor allem auch in einem boomenden Bausektor. Ein Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit: Anstatt Investitionen in die Innenstadt der Hauptstadt Tiflis zu locken, plant Staatspräsident Micheil Saakaschwili gleich eine neue Stadt. Im Marschland der westlichen Schwarzmeerküste soll nach dem Willen der georgischen Administration eine Sonderwirtschaftszone entstehen. In der neu zu kreierenden Stadt Lazika können Unternehmen dann nach britischem Recht ihrem Geschäft nachgehen. Die von der Regierung erwünschte Einwohnerzahl liegt bei 500 000. Damit wäre Lazika nach Tiflis die zweitgrößte Stadt des Landes.Überhaupt ist Georgien derzeit auf das Bauen sehr erpicht. Kein Wunder also, dass die durchschnittliche Wachstumsrate von 4,8 % der vergangenen fünf Jahre im Wesentlichen auf die prosperierende Bauwirtschaft zurückzuführen ist. Im Jahr 2011 zählte das Land 510 000 Immobilientransaktionen, was einem Anstieg um gut ein Viertel im Vergleich zum Vorjahr entspricht. Davon waren 87 000 Transaktionen mit neuen Immobilien und 424 000 Geschäftsabschlüsse mit bereits bestehenden Immobilien. Kredite in FremdwährungDoch so schön die neuen Häuser an der Schwarzmeerküste in der Sonne auch glänzen mögen, eine Schattenseite gibt es auch in diesem Fall. Zum einen legt die Kreditvergabe seit den Sommermonaten 2010 wieder deutlich zweistellig zu: Zuletzt wurde ein Plus von 22 % gegenüber dem Vorjahr verbucht. Zum anderen gibt es einen relativ hohen Bestand an Fremdwährungskrediten. Im Juni waren 84 % aller Hypothekenkredite in einer ausländischen Währung ausgestellt. Im Bereich der privaten Haushalte waren es 87 %. Die Vergabe dieser Art von Darlehen nahm sogar neuen Schwung auf. Die letzten Daten der georgischen Notenbank zeigen ein Wachstum von Hypothekenkrediten in Fremdwährung von zuletzt 35 % im Jahresvergleich.Der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) verweisen in ihren Länderberichten allerdings auf die günstige Liquiditätsausstattung und die relativ gute Kapitalbasis der Institute. Skepsis ist dennoch angebracht: Wozu eine exzessive Fremdwährungskreditvergabe führen kann, zeigen Staaten wie Ungarn, Rumänien oder auch Lettland. Alle drei Länder benötigten im Zuge der Finanzmarktkrise internationale Hilfskredite. Lange wurden die Risiken der exzessiven Fremdwährungskreditvergabe dort unterschätzt. Zwar ist der georgische Bankensektor zu 89 % in ausländischer Hand, was aufgrund des dadurch guten Zugangs zu ausländischen Refinanzierungsmöglichkeiten grundsätzlich positiv zu werten ist. Aber dies ändert nichts an der Tatsache, dass dabei makroökonomische Risiken bestehen. Spiegelbild dessen sind ein Leistungsbilanzdefizit, das sich auf knapp 13 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) beläuft, und eine Auslandsverschuldung von 77 % des BIP. Der Hang zu fremden Währungen schlägt sich auch auf der Passivseite der Bankbilanzen nieder. Nach Angaben der Ratingagentur Moody’s liegt die Dollarisierungsquote (Anteil der Dollar-Depositen an den gesamten Depositen) im georgischen Bankensektor bei 72 %.Die informelle Dollarisierung ist zwiespältig. Was einerseits als vertrauensbildende Maßnahme verstanden werden kann, lässt andererseits die heimische Geldpolitik ins Leere laufen. Die EBRD sieht deshalb die Stärkung der heimischen Währung als eine ihrer Hauptaufgaben in Georgien an. Auch die deutsche KfW flankiert mit einer indirekten Beteiligung an der georgischen Procredit Bank die Bemühungen der EBRD. Die Erfolge sind bislang mäßig, wie die nach wie vor hohe Dollarisierungsquote und die Fremdwährungskreditvergabe zeigen. Volatile InflationsratenDie Entwicklung der Inflationsrate war in den vergangenen Jahren äußerst volatil, was der Vertrauensbildung in die eigene Währung nicht dienlich war. Legte der Konsumentenpreisindex im Mai 2011 noch mit 14,3 % im Jahresvergleich zu, waren seit Jahresbeginn 2012 mehrheitlich sogar Rückgänge zu beobachten. Zuletzt war ein leichtes Plus von 0,6 % zu verzeichnen.Die georgische Notenbank reagierte bereits frühzeitig darauf: Seit den Sommermonaten wurde der Leitzins um 225 Basispunkte auf zuletzt 5,75 % reduziert. Basiseffekte dürften nun aber die Inflationsraten wieder deutlicher in den positiven Bereich befördern. Auch die infolge der US-amerikanischen Dürre gestiegenen Agrarpreise wirken in diese Richtung. Grundsätzlich dürfte die geldpolitische Ausrichtung noch auf Lockerung ausgerichtet sein. Doch sollte die jüngste Entwicklung an den Agrarmärkten deutlich zu Buche schlagen, wird man in Tiflis auf einen neutralen Kurs umschwenken.Die Bauwirtschaft wird in den kommenden Quartalen eine wichtige Wachstumsstütze bleiben. Wenngleich die industrielle Basis in der absoluten Betrachtung noch schwach ist, zeigen sich die Zuwachsraten im verarbeitenden Gewerbe recht dynamisch. Hierbei machen sich nun zu einem gewissen Grad die hohen Direktinvestitionen der vergangenen Jahre bemerkbar. Vor allem aufgrund einer liberalen Gesetzgebung und einer Reihe von Freihandelszonen macht das Land bei ausländischen Investoren auf sich aufmerksam.Mit der Rosenrevolution im Jahr 2003 startete Georgien tiefgreifende Umwälzungen. So gehört die Steuer- und Arbeitsgesetzgebung zu einer der tolerantesten im globalen Vergleich. Die Wirtschaftsgesetzgebung hat sich das liberale Idealbild des “Nachtwächterstaates” auf die Fahne geschrieben. Dabei heimste das Land Lob ein. Die Weltbank zeichnete Georgien im Jahr 2007 als “Reformweltmeister” aus. Im “Ease of Doing Business Index” der Weltbank lag das Land 2012 auf dem 16. Platz. Beim Subindex “Unternehmensneugründung” kann selbst Deutschland von Georgien lernen. Mit dem siebten Platz sticht der Kaukasusstaat Deutschland, das auf dem 98. Rang landet, deutlich aus.Kein Wunder also, dass das Land in der osteuropäischen Region zu einer der dynamischsten Volkswirtschaften gehört. Der BIP-Zuwachs belief sich im ersten Quartal 2012 auf 6,8 % im Jahresvergleich. Trotz einer Abkühlung dürfte im Gesamtjahr eine Wachstumsrate von rund 6 % realistisch sein.Zunehmende Bedeutung wird dem Tourismus zuteil. Die georgische Schwarzmeerküste erfreut sich bei russischen Touristen wachsender Beliebtheit. Der Sektor nimmt mittlerweile 5 % des BIP ein. Im Welt-Tourismus-Barometer rangiert Georgien auf Platz 3 der am schnellsten wachsenden Urlaubsdestinationen. Defizit in der LeistungsbilanzInsgesamt gilt: Das Aufholpotenzial für die Volkswirtschaft ist groß, was mittelfristig für im internationalen Vergleich hohe BIP-Zuwachsraten spricht. Zwar bleiben Risiken aufgrund des hohen Leistungsbilanzdefizits und des dadurch erforderlichen Zuflusses an ausländischem Kapital bestehen, aber diese können durch eine schützende Hand des IWF minimiert werden. Ein Abkommen mit der Washingtoner Institution sieht im Notfall Hilfen vor. Das Gesamtvolumen beläuft sich dabei auf rund 380 Mill. Dollar und verteilt sich hälftig auf Notfallkredite und den Zugriff auf kurzfristige Finanzierungsfazilitäten. Bereits im Jahr 2008, als das Land neben der globalen Finanzmarktkrise auch unter dem Krieg gegen Russland litt, erhielt Georgien umfangreiche Hilfszusagen aus Washington. Nicht zuletzt spiegelt sich in den schnellen und umfangreichen Hilfen die strategische Bedeutung Georgiens wider. Die Baku-Tiflis-Ceyhan-Ölpipeline sowie die Südkaukasus-Gaspipeline durchqueren das Land und transportieren die Energieträger aus der kaspischen Region an das Mittelmeer. Der Bau beider Anlagen versetzte Georgien in eine geopolitische Schlüsselposition. Der Kaukasusstaat ist damit deutlich näher an die NATO und die Europäische Union gerückt. Seither erhielt das Land finanzielle, aber auch militärische Hilfen aus dem Westen. An der politischen Gemengelage dürfte sich wohl auch nach der georgischen Parlamentswahl am 1. Oktober kaum etwas ändern. Präsident Saakaschwili und seine Partei “Vereinte Nationale Bewegung” liegen aktuellen Umfragen zufolge in Führung.Investoren, die auf eine fortgesetzt positive Entwicklung Georgiens setzen, müssen sich mit einer beschränkten Auswahl an Instrumenten zufriedengeben. Im Jahr 2008 feierte Georgien mit einer fünfjährigen Staatsanleihe sein Debüt am Dollar-Kapitalmarkt. Im Jahr 2011 gesellte sich eine weitere Anleihe mit zehnjähriger Laufzeit hinzu. Die 500-Mill.-Euro-Emission rentiert derzeit mit 5,3 %. Anleger sollten allerdings berücksichtigen, dass sie bei ihrem Engagement unter dem Investment Grade liegen. Georgien blickt derzeit auf ein Rating von “BB -“. Der Bonitätsausblick wird von allen drei Ratingagenturen mit einem “Stabil” versehen. Die Georgian Oil and Gas Company ist ebenfalls noch mit einem Dollar-Papier an den internationalen Anleihemärkten präsent. Bei einer Bonitätsstufe von “B+” und fünfjähriger Laufzeit erhalten Anleger eine Rendite von 6,8 %. Der Schuldtitel wird unter anderem an den Börsen in Berlin und Frankfurt gehandelt. An beiden Handelsplätzen finden sich noch Titel des staatlichen Eisenbahnunternehmens Georgian Railways. Der in georgischen Lari denominierte Anleihenmarkt steckt hingegen noch in den Kinderschuhen und scheidet für ausländische Investoren faktisch aus. Wer auf georgische Aktien setzen möchte, wird enttäuscht. Die Börse in Tiflis ist ebenfalls etwas anders: Die Umsätze an den drei Handelstagen pro Woche liegen nicht selten unter jeweils 20 Abschlüssen.—-*) Dr. Thomas Gitzel ist Senior Economist der VP Bank Group in Liechtenstein.