LÄNDERREPORT: GRIECHENLAND

Der Marathonlauf der Hellenen

Das hochverschuldete Land hat noch einen sehr langen und harten Anpassungsprozess vor, ist in einigen Bereichen aber schon ein Stück vorangekommen

Der Marathonlauf der Hellenen

Von Andreas Scheuerle *) Die Bilanz scheint verheerend: Seit 2009 ist das griechische Bruttoinlandsprodukt (BIP) um fast 20 % geschrumpft und die Arbeitslosenquote ist auf über 25 % gestiegen. Die Schuldenstandsquote und das Haushaltsdefizit des Staates sind auch nach dem Schuldenschnitt viel zu hoch. Es gibt zwar einige hoffnungsvolle Entwicklungen, aber bis zum Ziel des Marathonlaufs in eine bessere Zukunft ist noch ein gutes Stück zurückzulegen.Der griechische Staat tut sich mit der Konsolidierung schwer, allein schon weil es bei der (Steuer-)Verwaltung große Defizite gibt. Dennoch gibt es Erfolge, die aber erst sichtbar werden, wenn man die rezessionsbedingten Mindereinnahmen und Mehrausgaben herausrechnet. Denn diese überschatten die tatsächlichen Konsolidierungsanstrengungen. Die Europäische Kommission nimmt solche Korrekturen vor. Das Ergebnis: Griechenland ist es gelungen, seine sogenannte zyklisch bereinigte Defizitquote um fast 14 Prozentpunkte zu verringern. Das ist eine beachtliche Leistung. Leistungsbilanz bessert sichIm Hinblick auf das zweite große Defizit gibt es Bescheideneres zu vermelden: Das Leistungsbilanzdefizit, das in den schlechtesten Zeiten rund 17 % in Relation zum Bruttoinlandsprodukt betragen hatte, ist inzwischen nahezu ausgeglichen. Kritische Beobachter merken nicht ganz zu Unrecht an, dass die Rezession die Inlands- und damit auch die Importnachfrage dämpfe, was sich in besseren Zeiten zumindest teilweise wieder umkehren werde. Das Erreichte sei mithin nicht nachhaltig.Tatsächlich resultieren die Erfolge überwiegend aus einem Rückgang der Importquote, während die Exportquote nur sehr langsam steigt. Es wäre aber vermessen zu erwarten, dass die Versäumnisse vieler Jahre in nur kurzer Zeit behoben werden.Schnellere Erfolge wurden bei der preislichen Wettbewerbsfähigkeit erzielt. Die Lohnkürzungen ließen in kurzer Zeit die Lohnstückkosten um rund 15 % fallen. Doch um auf dem Weltmarkt Erfolg zu haben bedarf es nicht nur einer hinreichenden preislichen Wettbewerbsfähigkeit, sondern auch einer Produktpalette, die auf eine hohe Nachfrage stößt. Gerade hier gibt es noch beachtliche Defizite, die aber auch nicht von heute auf morgen behoben werden können. Die geringeren Arbeitskosten dürften dagegen Dienstleistungsexporte im Bereich Tourismus vergleichsweise zügiger anregen. Standort noch zu schlechtFür die gesamtwirtschaftliche Erholung ist die Ansiedlung exportstarker Unternehmen wichtig, denn sie bringen die Fertigung wettbewerbsfähiger Ausfuhrprodukte nach Griechenland. Hierzu ist jedoch eine spürbare Verbesserung der Standortbedingungen wichtig. Neben den Produktionskosten gibt es eine Vielzahl anderer Standortfaktoren, die beispielsweise von der Weltbank in ihrer “Doing Business”-Analyse gebündelt werden. Hier werden Indikatoren über die Verfahren einer Unternehmensgründung, der Erteilung von Baugenehmigungen, der Eigentumsregistrierung, der Elektrizitätsverfügbarkeit, der Steuerentrichtung bis hin zur Insolvenz bewertet. Gemessen daran belegt Griechenland im Set der Industrieländer seit Jahren den letzten Platz, global rangiert Hellas nur zwischen Brunei und den Bahamas. Gleichwohl konnte sich das Land seit 2011 um 23 Plätze verbessern. Verbesserungen wurden insbesondere in den Bereichen Investorenschutz, Steuern und bei Verfahren im Außenhandel erzielt.Ein Marathonlauf wird es, den griechischen Staatsapparat effizient und schlagkräftig zu machen. Bekannt sind die Bilder von Finanzämtern mit kreuz und quer verstreut liegenden Akten. Doch die Misere ist viel umfassender. Die Weltbank untersucht jedes Jahr die Handlungsfähigkeit von Staaten. Griechenland ist dabei regelmäßig auf den letzten Rängen der Industrieländer zu finden, egal ob es um die Regierungseffektivität, das Rechtssystem, die Korruptionskontrolle oder die Qualität der Regulierung geht. All das sind staatliche Standortfaktoren, die internationale Investoren mitberücksichtigen und die dringend verbessert werden müssen. Allerdings dürfte es kaum möglich sein, hier schnelle Erfolge zu erzielen. Umso bedauerlicher ist, dass der Internationale Währungsfonds (IWF) auf diesen Gebieten sogar ein verlangsamtes Reformtempo diagnostiziert. Zielverfehlung drohtRezession, weiterhin hohe Defizite und ein in wichtigen Bereichen noch zu geringes Reformtempo lassen den Schuldenberg Griechenlands nur mühsam geringer werden. 2012 erfolgten zwei wichtige Schritte, um die sich immer weiter auftürmenden Schulden zu kappen: Im März ging der lange gefürchtete Schuldenschnitt bei den Privatgläubigern weitgehend unproblematisch über die Bühne und entschuldete Griechenland um 110 Mrd. Euro; dies entsprach einer Verringerung der Schuldenstandsquote um mehr als 50 Prozentpunkte. Zudem wurden die Zinsen für die Rettungskredite rückwirkend nochmals gesenkt und es wurde ein weiteres Rettungspaket im Wert von 130 Mrd. Euro beschlossen. Im weiteren Verlauf des Jahres zeigte sich jedoch, dass das angepeilte Ziel einer Schuldenstandsquote von 120 % im Jahre 2020 dennoch nicht einzuhalten war. Man entschloss sich daher zu einem Schuldenrückkaufprogramm, bei dem der geringe Kurswert griechischer Staatsanleihen ausgenutzt werden soll, um den Schuldenberg um etwa 20 Mrd. Euro zu verringern. Ergänzende Maßnahmen wie Zinssenkungen, Zinsstundungen und Laufzeitverlängerungen bei Krediten der ersten beiden Rettungspakete sowie die Rücküberweisung von Zentralbankgewinnen fällig gewordener aufgekaufter griechischer Staatsanleihen sollen die Schuldenstandsquote bis 2020 um weitere 20 Prozentpunkte drücken.Dennoch zeigt sich der IWF skeptisch und erwartet eine Zielverfehlung, sollten nicht weitere Maßnahmen – auch seitens der Gläubiger – ergriffen werden. Wie weit der Weg des Schuldenabbaus noch ist, zeigt der Blick auf die aktuelle Schuldenstandsquote, die im dritten Quartal 2012 bei knapp 153 % lag.Der Reformkurs steht und fällt mit der gegenwärtigen Regierung. In ihr versammeln sich die letzten Reformer, während um sie herum die Reformgegner mobil machen. Inzwischen ist die Linkspartei Syriza die stärkste Partei und würde den Wahlsiegerbonus erhalten. Allein reicht es für sie aber noch nicht. Gegenwärtig sieht es so aus, als ob Syriza nicht auf die Radikalen auf der linken und der rechten Seite des politischen Spektrums angewiesen wäre. Wenn jetzt Wahlen wären, hätten also die Reformgegner Chancen, die Amtsgeschäfte zu übernehmen. Doch ob die Opposition gegenwärtig ein echtes Interesse daran hat, kann bezweifelt werden, ist es doch deutlich schöner, erst dann zu regieren, wenn die dringend notwendigen “Grausamkeiten” von der Vorgängerregierung schon begangen wurden und man nur noch die Ernte einfahren muss.Im Jahr 2013 geht die Rezession in ihr fünftes Jahr und wird eine weitere Schrumpfung des BIP um bis zu 5 % bringen. Dennoch sind die Hellenen nicht zu ewiger Finsternis verdammt. Die Rezession, so schmerzhaft sie ist, wird zu Ende gehen. Wann dies der Fall sein wird, hängt davon ab, wann sich die vier zentralen Fesseln der griechischen Wirtschaft wieder lockern:- Die Konsolidierungsanstrengungen: Wenn die Strukturen des griechischen Staatshaushaltes wieder ausbalanciert sind, kann die Sparpolitik mit negativen Impulsen von Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen auslaufen. 2013 ist dies noch nicht der Fall, denn es wird mit Einsparungen von rund 5 % des BIP gerechnet.- Die Kreditklemme: Angesichts der Refinanzierungs- und Bilanzprobleme der griechischen Banken schraubten diese die Kreditvergabe zurück. Nach Bereinigung dieser Probleme werden sich auch die Finanzierungsbedingungen wieder verbessern. Zwar ist der Mittelabzug aus den Banken gestoppt, aber die Zahl der problematischen Kredite und damit des Abschreibungsbedarfs wächst derzeit noch.- Der Strukturwandel: Es ist nichts Neues, dass Strukturreformen, die auf mittlere Sicht das Wachstum ankurbeln, kurzfristig dieses erst einmal dämpfen. Man denke nur an die Lockerung des Kündigungsschutzes. Unternehmen passen zunächst ihren Mitarbeiterbestand, der sich über Jahre aufgebaut hat, den wirtschaftlichen Verhältnissen nach unten an. Irgendwann endet dieser Prozess und in der Erholung steigt dafür wieder die Bereitschaft zu Neueinstellungen, weil die Beschäftigungsverhältnisse kein “Bund fürs Leben” mehr sind.- Die Verunsicherung: Nicht nur die mit der Rezession und der Reformpolitik einhergehende Verunsicherung, sondern auch die Sorgen über einen Euro-Austritt werden schwinden. Doch bis dies Investitions- und Konsumentscheidungen anregt, wird noch etwas Zeit vergehen. Zu geringes TempoEs geht zwar voran in Griechenland, aber das Fortschrittstempo ist noch zu gering. Eine Beteiligung der öffentlichen Gläubiger ist vorerst vom Tisch, doch noch nicht abgehakt. Jetzt muss eine klare Perspektive her, dass es Griechenland gelingen kann, sein Ziel, bis 2020 die Schuldenstandsquote auf höchstens 124 % zu verringern, auch zu erreichen. Dazu muss die Konsolidierung weitergehen. Ihr Charakter sollte sich jedoch ändern. Auf die Zeit des Löcherstopfens muss nun eine weitblickendere Konsolidierung folgen, in der beispielsweise das Steuersystem und die Steuerverwaltung zukunftsweisend umgebaut werden. Auch müssen die versprochenen strukturellen Ausgabenanpassungen vorgenommen werden. So wurde beispielsweise der überdimensionale Beamtenapparat 2012 statt um 15 000 nur um 200 Stellen verschlankt. Zum Konsolidierungserfolg gehört aber auch, dass die Wirtschaft wieder Boden unter die Füße bekommt. Denn letztlich wird auch der neu ausbalancierte Staatshaushalt erst dann Überschüsse erwirtschaften, wenn die Konjunktur wieder Tritt gefasst hat.Es liegt noch ein langer Weg vor Griechenland. Doch heute endet ein Marathonlauf – anders als beim antiken Vorbild – nicht mehr mit dem Tod des Läufers.—-*) Dr. Andreas Scheuerle ist Volkswirt (Senior Economist) bei der DekaBank, Frankfurt.