IM BLICKFELD

Der mühsame Kampf gegen aggressive Steuervermeidung

Von Detlef Fechtner, Brüssel Börsen-Zeitung, 12.11.2014 Alles dreht sich gegenwärtig in Brüssel um ein Wort: Lux-Leaks. Die umfangreichen Enthüllungen über die Steuerpraktiken internationaler Konzerne in Luxemburg haben eine hitzige Debatte...

Der mühsame Kampf gegen aggressive Steuervermeidung

Von Detlef Fechtner, BrüsselAlles dreht sich gegenwärtig in Brüssel um ein Wort: Lux-Leaks. Die umfangreichen Enthüllungen über die Steuerpraktiken internationaler Konzerne in Luxemburg haben eine hitzige Debatte entfacht, die ehrgeizige Erwartungen nach raschen Änderungen befördert hat. Viele hoffen, dass internationale Unternehmen schon sehr bald deutlich höhere Steuersätze zahlen müssen, weil ihnen Möglichkeiten der Steuergestaltung genommen werden. Andere erwarten, dass Dutzende oder gar Hunderte Verfahren gegen Steuerpraktiken eröffnet werden. Mancher ist gar der Meinung, dass Jean-Claude Juncker als ehemaliger luxemburgischer Premier aufgrund der Enthüllungen die Glaubwürdigkeit verloren hat, die er als EU-Kommissionschef benötigt.Doch gerade vor dem Hintergrund dieser Erwartungen nach jähen Korrekturen könnte sich schon sehr bald Ernüchterung einstellen. Denn der Kampf gegen aggressive Steuervermeidung ist seit Jahren eine sehr zähe und mühsame Anstrengung. Die Chancen für Korrekturen von jetzt auf nun sind deshalb eher gering.Die neue EU-Kommissarin für Wettbewerb, Margrethe Vestager, brachte es gestern Abend vor dem Wirtschaftsausschuss des EU-Parlaments auf den Punkt: “Wir haben akzeptiert, dass wir einen Steuerwettbewerb zulassen wollen – und wir haben akzeptiert, dass wir Einstimmigkeit brauchen, um das zu ändern. Und ich habe den Eindruck, dass es recht schwierig ist, Einstimmigkeit herzustellen.”Die EU befindet sich in einem Dilemma. Auf der einen Seite ist die öffentliche Empörung groß – und damit auch der Druck, rasch Ergebnisse zu liefern. Auf der anderen Seite gibt es realistisch wenig Hoffnung, dass sich die Schlupflöcher für legale Steuervermeidung von Unternehmen in kurzer Zeit stopfen lassen.Beispiel Bemessungsgrundlage: Die EU-Kommission hat bereits mehrere Anläufe gestartet, um – wenn schon nicht die nationalen Steuersätze, so doch – zumindest die Bemessungsgrundlage für Firmensteuern anzugleichen. Damit soll mehr Vergleichbarkeit und Transparenz der Steuerlast hergestellt und der steuerrechtliche Aufwand für Unternehmen, sich im Nachbarland anzusiedeln, spürbar gesenkt werden. Doch die Entwürfe der EU-Kommission vergilben in der Schublade. Alle Bemühungen früherer EU-Steuerkommissare sind gescheitert, das Dossier voranzubringen. So sind die EU-Staaten uneins über die Konsolidierung von Gewinnen und Verlusten oder die Erlaubnis zu Steuerrückträgen.Beispiel Lizenz/Patentboxen: Eine ganze Reihe von EU-Ländern bietet diese steuerliche Privilegierung von Erträgen aus geistigem Eigentum an. Zugleich stehen diese Regime unter Verdacht, ein prima Schlupfloch für Unternehmen zu sein, um Steuern zu vermeiden. Es dürfte viel Zeit und Kraft brauchen, um Briten, Niederländer und alle anderen Anbieter dieser Boxen davon zu überzeugen, diese Praxis anzupassen. Gestern meldete immerhin das Bundesfinanzministerium, dass sich Deutsche und Briten mittlerweile einen Kompromiss vorstellen können. Davon allerdings müssen sie noch alle anderen OECD-Partner überzeugen.Beispiel Steuervorentscheide: Nicht nur Luxemburg offeriert Unternehmen “Tax Rulings” – obwohl vieles dafür spricht, dass einige dieser Abreden über die Steuerschuld eine massive Verkürzung der Steuerschuld ermöglichen. Es ist unwahrscheinlich, dass schon bald alle EU-Staaten auf diese Praxis verzichten.Die Beispiele zeigen: Gerade weil es der EU-Kommission bislang so schwerfiel, eine Annäherung der Steuerregeln voranzubringen, hat sich die Behörde im vorigen Jahr darauf verlegt, eklatante Fälle mit den Waffen des Wettbewerbsrechts anzugreifen – gegen Irland (Apple), die Niederlande (Starbucks) und Luxemburg (Fiat und Amazon). Vestager pocht darauf, diesen Weg ihres Vorgängers Joaquín Almunia weiterzuverfolgen: “Wir müssen diese vier Fälle abschließen, um mehr über die Praxis zu erfahren.” Die Dänin weiß aber auch, dass die Möglichkeiten des Wettbewerbsrechts begrenzt sind, da jeder Fall eine schwierige, individuelle Dokumentation eines unlauteren Vorteils erfordert. Deshalb lautet die Strategie von ihr – und überhaupt der neuen EU-Kommission: Das eine tun, ohne das andere zu lassen. “Die rechtliche Bewältigung der Vergangenheit wird eine Brücke sein, um die politischen Antworten für die Zukunft zu finden.”Bleibt die Frage, ob die Öffentlichkeit und das EU-Parlament die nötige Geduld aufbringen. In Brüssel werden derzeit fast stündlich neue Forderungen nach Untersuchungsausschüssen und Sonderermittlern gestellt – gerade so, als gebe es eine Handvoll Verantwortlicher, die man dafür dingfest machen kann, dass seit Jahren viele Firmen in Europa extrem wenig Steuern zahlen.Immerhin: Die Erfahrungen mit Zinssteuer, Bankgeheimnis und automatischem Informationsaustausch zeigen, wie eine Diskussion an Momentum gewinnen kann – und sich dann zumindest binnen weniger Jahre Bedingungen gravierend verändern können. Die Wette für die Unternehmenssteuern lautet deshalb: Es wird sich viel schneller etwas ändern, als es sich die meisten Beteiligten bisher vorstellen konnten. Aber es wird sich wohl viel langsamer etwas ändern, als das Aktivisten oder Abgeordnete erwarten.