Der permanente Ausnahmezustand

Von Andreas Hippin, London Börsen-Zeitung, 27.5.2017 Französische Besucher werden in den kommenden Wochen in London eine Situation vorfinden, die sie aus ihrer Heimat kennen. Denn in ihrem Land ist der permanente Ausnahmezustand bereits Alltag....

Der permanente Ausnahmezustand

Von Andreas Hippin, LondonFranzösische Besucher werden in den kommenden Wochen in London eine Situation vorfinden, die sie aus ihrer Heimat kennen. Denn in ihrem Land ist der permanente Ausnahmezustand bereits Alltag. Premierministerin Theresa May erhöhte die Terrorwarnstufe nach dem Massaker von Manchester auf das höchste Niveau. Es handelte sich dabei keinesfalls um “kranke” oder “sinnlose” Gewalt, sondern um einen mit militärischer Präzision ausgeführten Angriff, der auf größtmögliche Wirkung abzielte. So sieht asymmetrische Kriegsführung aus – der Islamische Staat hat keine Luftwaffe.Nun sollen also auch in Großbritannien Soldaten für den Schutz von Objekten und Großveranstaltungen eingesetzt werden, um die Polizei zu entlasten. Mays Vorgänger David Cameron war vor diesem Schritt zurückgeschreckt. Er wollte keine Erinnerungen daran aufkommen lassen, dass britische Soldaten in manchen Regionen Nordirlands jahrzehntelang das Straßenbild bestimmten.May geht ein großes Risiko ein. Sie hat zwar nicht den Ausnahmezustand ausgerufen, der Rückgriff auf die Streitkräfte kann aber schnell den Eindruck erwecken, der Staat könne die Bevölkerung anders nicht mehr schützen. Genau dieses Gefühl wollen Terroristen erzeugen. Haben sich die Menschen aber erst einmal an den Anblick schwer bewaffneter Soldaten gewöhnt, können sie schlecht wieder in die Kasernen zurückbeordert werden. Es sei denn, die Bedrohungslage hätte sich wesentlich geändert – aber damit ist so schnell nicht zu rechnen.Die britischen Sicherheitsdienste sind hoffnungslos überfordert damit, Tausende selbst ernannter Gotteskrieger im Blick zu behalten, von denen Hunderte bereits Kampferfahrung in Syrien und anderswo gesammelt haben. Sie können nur hoffen, dass diejenigen, die sie mit ihrer begrenzten Personalausstattung überwachen können, auch wirklich die gefährlichsten sind. Zu den Fragen, die nun diskutiert werden, gehört, ob eine offene Gesellschaft ihren erklärten Feinden in vollem Umfang Bürgerrechte garantieren muss. Im nordirischen Bürgerkrieg wurden viele Menschen – überwiegend Republikaner – ohne Gerichtsverfahren interniert. Weitere Fragen sind, ob man es hinnehmen muss, dass US-Internetfirmen Terroristen zum Nulltarif leistungsfähige Plattformen für ihre Propaganda und die Rekrutierung neuer Mitglieder bieten, und ob Saudi-Arabien wirklich ein Freund ist.Viele britische Muslime sind über die Gräueltaten, die im Namen ihrer Religion verübt werden, mindestens ebenso verärgert wie Nichtmuslime. Mit ihnen zusammen könnte der Terror bekämpft werden. ——–Großbritannien setzt gegen den Terror Soldaten ein – May geht damit ein hohes Risiko ein.——-