LEITARTIKEL

Der Preis der Freiheit

Empathie kann man von Finanzmärkten nicht verlangen. Zwar reagieren Börsen nicht immer rational, doch Krisen, Katastrophen und Kriege finden meist direkten Niederschlag in Reaktionen der Finanzmärkte. Die Kriegsrhetorik, die nach den...

Der Preis der Freiheit

Empathie kann man von Finanzmärkten nicht verlangen. Zwar reagieren Börsen nicht immer rational, doch Krisen, Katastrophen und Kriege finden meist direkten Niederschlag in Reaktionen der Finanzmärkte. Die Kriegsrhetorik, die nach den Terroranschlägen von Paris Politiker und auch Kommentatoren angestimmt haben, scheint die Marktteilnehmer nicht zu beeindrucken – und das ist auch gut so. Weder an den Märkten noch in der Politik helfen Übertreibungen, die Ereignisse und ihre Umstände sind auch ohne verbale Zuspitzung schlimm genug. Die Bedrohung der freien Welt durch islamistische Terroristen hat zwar mit den Anschlägen von Paris aufgrund der hohen Zahl von Opfern in Europa eine neue Eskalationsstufe erreicht, ist aber dem Grunde nach nicht neu. Der dahinter stehende Macht- und Kulturkampf hat spätestens mit den Anschlägen vom 11. September 2001 begonnen. Er wird seither unter schwankender öffentlicher Wahrnehmung geführt. Die Anschläge auf öffentliche Einrichtungen und ihre Besucher, die Attentate auf einzelne Menschen wie auch die Massaker an ganzen Volksgruppen sind traurige Begleiterscheinungen einer offenen, globalen Welt, in der eine Ordnungsmacht ebenso fehlt wie ein verbindlicher Ordnungs- und Rechtsrahmen, an den sich alle Staaten halten.Die Antwort auf den Terror kann nicht die militärische Eskalation sein. Zwar ist es nötig, Zeichen zu setzen. Doch Militäraktionen lassen sich selten so exakt ausführen, dass sie nur die Verantwortlichen der Gewalt und nicht weitere unschuldige Opfer treffen. Die Antwort auf den islamistischen Terror hat eine globale und eine nationale Dimension. Global müssen endlich alle Länder verpflichtet werden, Terrornetzwerke nicht länger direkt oder indirekt zu finanzieren, zum Beispiel durch Ölbezug aus den vom “Islamischen Staat” (IS) beherrschten Regionen. Was muss eigentlich noch passieren, damit die Staaten im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, damit die Verbündeten der Nato, damit die Mitgliedsländer der EU zu einer gemeinsamen politischen Linie im Kampf gegen den Terror finden? Selbst die EU übt sich außenpolitisch zwar gern in großen Worten, bleibt aber zerstritten, wenn es um die gemeinsame Aktion oder wenigstens Reaktion geht – beispielsweise in der Frage gezielter militärischer Einsätze, in der Frage der humanitären Hilfe in den vom IS-Terrorismus heimgesuchten Krisenregionen, in der Frage der Zusammenarbeit der Geheimdienste oder der Frage der Ordnung des Flüchtlingszustroms. Die EU muss erkennen, dass für ihre Zukunft als Gemeinschaft nicht die gemeinsame Währung an vorderster Stelle zu stehen hat, sondern das gemeinsame Verständnis von Freiheit, Demokratie, Grundrechten und nicht zuletzt Sicherheit. Zu dieser Sicherheit gehört auch die Sicherheit und Kontrolle der Außengrenzen der EU. Der unkontrollierte und ungeordnete Zustrom von Flüchtlingen bereitet den Boden für terroristische Gewalt.Die Lehman-Pleite war für die Finanzwelt der Wendepunkt, die Zeit des ungezügelten Finanzkapitalismus mit weitgehend deregulierten Märkten zu beenden. Man hat erkannt, dass Einschränkungen der Freiheit nötig sind, um sie im Grunde zu erhalten. In der Politik hat sich diese Erkenntnis trotz der wiederholten Anschläge des islamischen Terrorismus noch nicht etabliert. Wer die freiheitlich-demokratische Grundordnung und eine humanitären Grundsätzen verpflichtete Gesellschaft erhalten möchte, muss heute mehr als früher auch bereit sein, Einschränkungen dieser Freiheit zu Gunsten der Sicherheit zu akzeptieren. Lieber Lauschangriff als Bombenanschlag: Nur eine wehrhafte Demokratie hat Zukunft. Das galt in Zeiten des RAF-Terrorismus und führte zum Radikalenerlass. Das galt später bei der Einbürgerung muslimischer Zuwanderer und fand vorübergehend Ausdruck in der Gesinnungsprüfung. Das sollte künftig gelten beim Zuzug von Flüchtlingen aus Kriegsgebieten, die in einer Zivilgesellschaft das Recht auf politisches Asyl haben müssen, aber unter der Auflage der Registrierung und der Anerkennung der Regeln des Gastlandes.Globalisierung und Freiheit haben ihren Preis. Er besteht in der Verletzlichkeit freier Gesellschaften durch politische Amokläufer und ideologisch oder religiös verblendete Fanatiker. Terroranschläge kann man nie ausschließen, nicht einmal in Diktaturen. Aber man kann sie durch engere internationale Zusammenarbeit und höhere nationale Sicherheitsvorkehrungen erschweren. Auch die damit verbundenen Einschränkungen gehören zum Preis der Freiheit und der globalen Welt. Wir können, wir sollten ihn uns leisten.——–Von Claus DöringLieber Lauschangriff als Bombenanschlag: Nur eine wehrhafte Demokratie hat Zukunft. Und Freiheit hat ihren Preis.——-