GASTBEITRAG

Der "Quantitative Exit" naht

Börsen-Zeitung, 22.8.2017 Innovative geldpolitische Ansätze sind seit den dunkelsten Tagen der Finanzkrise das zentrale Thema an den globalen Finanzmärkten. Deshalb ist es nachvollziehbar, dass Anleger jedes Mal innehalten, wenn Zentralbanker...

Der "Quantitative Exit" naht

Innovative geldpolitische Ansätze sind seit den dunkelsten Tagen der Finanzkrise das zentrale Thema an den globalen Finanzmärkten. Deshalb ist es nachvollziehbar, dass Anleger jedes Mal innehalten, wenn Zentralbanker versuchen, ihre Gedankengänge zu erläutern. Gerade in Frankfurt und Washington sollten Investoren im Moment sehr genau hinhören.In den USA gehen wir davon aus, dass die US-Notenbank Federal Reserve im September verkünden wird, wie sie eine Umkehr der eigenen Strategie des Gelddruckens einleiten will. Im Raum steht der Verkauf von US-Staatsanleihen und hypothekenbesicherten Wertpapieren (MBS) im Wert von 10 Mrd. Dollar im letzten Quartal des Jahres.Das ist jedoch noch nicht ganz beschlossene Sache: Befürworter einer expansiven Geldpolitik verweisen auf eine Reihe schwacher Inflationszahlen in den vergangenen Monaten. Die meisten anderen Indikatoren sprechen hingegen für eine weitere Straffung. Trotz dreier Zinserhöhungen in den vergangenen neun Monaten verbessern sich die Finanzbedingungen weiterhin – eine Tatsache, die Autoren von Wirtschaftsfachbüchern nachdenklich stimmen sollte, da es das Gegenteil von dem ist, was eigentlich zu erwarten wäre. Der Aktienmarkt befindet sich weiter auf einem Rekordhoch, seit Beginn des Jahres gehen die Anleiherenditen leicht zurück, und – die eigentliche Überraschung – der Dollarkurs fällt, und zwar immer schneller. Starke Daten in den USADer jüngste Beschäftigungsbericht der USA bestätigt die Stärke des Arbeitsmarkts, die Arbeitslosenquote ist so niedrig wie zuletzt im Jahr 2001, und der durchschnittliche Stundenverdienst steigt weiter. Unserer Ansicht nach haben die Befürworter einer restriktiveren US-Geldpolitik immer noch das stärkste Argument. Deshalb gehen wir davon aus, dass wir in den USA den ersten bedeutenden Ausstieg aus dem Quantitative Easing (QE) sehen werden. Das passt ins Bild, war die Fed doch auch schon Vorreiter einer extrem lockeren Geldpolitik.Gleichwohl besteht die Sorge, dass die Veränderungen zu neuerlicher Volatilität führen könnten. Als der damalige Fed-Vorsitzende Ben Bernanke 2013 eine Reduzierung der QE-Käufe in Aussicht stellte, löste er damit einen flächendeckenden Ausverkauf an den Märkten aus: das sogenannte Taper Tantrum. Die Zentralbanker haben ihre Lektion jedoch gelernt und kündigen derartige Schritte nun stets sehr umsichtig an, weshalb Marktkommentatoren ihre Aussagen bis ins kleinste Detail überprüfen.So oder so, ein Ausstieg aus dem Quantitative Easing, den wir als “Quantitative Exit” bezeichnen, dürfte keinen destabilisierenden Ausverkauf zur Folge haben. Die Fed investiert über das gesamte Laufzeitenspektrum in eine Reihe hochliquider Märkte und kann relativ einfach das Tempo einer Reinvestition drosseln, wenn die gehaltenen Wertpapiere fällig werden. Janet Yellen wird schrittweise und bedacht vorgehen. Sollte es negative Reaktionen geben, rechnen wir damit, dass die Fed im Dezember erst einmal keine weitere Zinserhöhung vornimmt.In Anbetracht der Tatsache, dass die USA den Ausstieg aus der Lockerungspolitik bereits sehr viel weiter vorangetrieben haben, liegt eine gewisse Ironie darin, dass auch in der Eurozone einige Konjunkturindikatoren einen deutlichen Aufwärtstrend verzeichnen. Die jüngsten Wachstumszahlen für Europa lagen ein gutes Stück über unseren Erwartungen, und die Inflation zog geringfügig an. Beides wird den Druck auf Mario Draghi erhöhen, Pläne für seine eigene Version eines Quantitative Exit im weiteren Verlauf des Jahres vorzulegen.Dabei bewegt sich der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB) auf einem extrem schmalen Grat. Die Erholung der Eurozone bleibt eine fragile Angelegenheit: Italien hat vor kurzem Rettungsmaßnahmen für zwei Banken in der Gesamthöhe von 17 Mrd. Euro vereinbart, es wird über ein viertes Rettungspaket für Griechenland verhandelt, und die EZB ist durch das Verbot eines Finanzausgleichs innerhalb der EU eingeschränkt. Die Art und Weise wie Draghi eine “Normalisierung” der Geldpolitik umsetzt, wird eine entscheidende Rolle für die wirtschaftliche Zukunft der Eurozone spielen. Den Markt wieder beruhigtBeinahe hätte er von der portugiesischen Stadt Sintra aus mit seiner Aussage, es seien “reflationäre Kräfte im Spiel”, im Juni sein eigenes Taper Tantrum ausgelöst. Zwar gelang es ihm bald darauf mit beschwichtigenden Äußerungen gegenüber einem Markt, der sich dem Wegfall der EZB-Unterstützung nicht stellen will, die Volatilität wieder einzudämmen. Aber sowohl Draghi als auch die Anleger wissen, dass es nicht ewig so weitergehen kann.Neben der großen Frage der Nachhaltigkeit einer auf langfristiger staatlicher Intervention beruhenden Wirtschaftserholung hat der EZB-Chef dringende praktische Gründe, den Umkehrprozess einzuleiten. Einer der Hauptgründe ist schlicht die Tatsache, dass ihm die Anleihen zum Kauf ausgehen. Er müsste die Käufe aussetzen und sich der Debatte über den Kapitalzeichnungsschlüssel stellen. Dieser bestimmt bekanntlich, wie viele Anleihen er von einem Land kaufen kann bzw. inwiefern er von dem Grundsatz abweichen darf, dass die EZB nicht mehr als ein Drittel eines einzelnen Wertpapiers halten soll. EZB im DilemmaDie Aufhebung des Kapitalzeichnungsschlüssels könnte Kritiker auf den Plan rufen, die Draghi einen Finanzausgleich durch die Hintertür vorwerfen. Hielte die EZB die Mehrheit an einzelnen Anleihen, würde das zum einen die Angebotsknappheit verschärfen, über die sich die Anleger im Privatsektor bereits beklagen. Zum anderen müsste er die Verantwortung eines Mehrheitseigners übernehmen, sprich im Falle eines Ausfalls ein Konkursverfahren einleiten. Zweifellos eine unangenehme Position für eine Zentralbank.Das Risiko für Draghi besteht darin, dass er mit seinen Aussagen für eine noch angespanntere Lage an den Märkten sorgen könnte. Hierdurch käme ihm nicht nur eine Rechtfertigung für die bevorstehende Beendigung der Lockerungsmaßnahmen abhanden, sondern er stünde auch vor dem enormen praktischen Problem einer Fortsetzung des Programms.In den kommenden Wochen sollten wir insofern eher elliptische Äußerungen aus Frankfurt erwarten. Der Ton aus Washington dürfte hingegen wohl überlegt, aber vergleichsweise deutlicher werden.—-Andrew Wilson, CEO für EMEA bei Goldman Sachs Asset Management