Der radikale Umbau fällt aus
Von Bernd Neubacher, Frankfurt
Gemessen daran, dass diese Bundestagswahl weithin als Richtungsentscheid apostrophiert worden war, fällt nach dem Urnengang am Sonntag doch vor allem ins Auge, in welchem Ausmaß der Finanzplatz nun im Grunde so klug ist als wie zuvor. Sicher: Weil ein rot-rot-grünes Koalitionsbündnis unrealistisch erscheint, hat sich die Angst vor radikalen Umbauten im System, sofern überhaupt jemand die Wahlprogramme beim Wort genommen hat, verflüchtigt. Dafür spricht zumindest der Kurszuwachs der Deutsche-Bank-Aktie am Montag. Die Linke hatte für den Fall einer Regierungsbeteiligung schließlich angekündigt, „kurzfristig ausgerichtetes Investment Banking, das nur in Betriebe investiert, um schnell hohe Renditen zu erzielen“, als Geschäftsfeld abzuwickeln und Geschäftsbanken wie Sparkassen auf das Gemeinwohl zu verpflichten; auch schwebte ihr eine „demokratische Kontrolle“ der Banken vor. Die Grünen hatten sich derweil für ein Trennbankensystem und eine Entflechtung „zu großer Banken“ starkgemacht.
Darüber hinaus aber ist vorerst lediglich klar, dass nichts klar ist. Am anderen Ende des Spektrums der Koalitionspartner in spe stehen etwa die Freidemokraten, die in ihrem Programm klipp und klar gefordert haben, von Beteiligungen „an im Wettbewerb stehenden Banken wie zum Beispiel der Commerzbank oder den Landesbanken“ müsse „der Staat sich trennen“. Inwieweit aber die Partei als der kleinste Teilnehmer einer möglichen Ampel-Koalition diese Forderung durchsetzen könnte, wenn die dieses Gebilde anführende SPD den Status quo verantwortet hat, steht auf einem anderen Blatt und hängt auch davon ab, ob sie den Zuschlag für das Bundesfinanzministerium erhält.
Angst vor Verlusten
In den zurückliegenden zwölf Jahren haben es jedenfalls neben Bundeskanzlerin Angela Merkel und Finanzminister Wolfgang Schäuble auch dessen Vorgänger und Nachfolger mit SPD-Parteibuch, Peer Steinbrück und Olaf Scholz, tunlichst vermieden, Verluste aus dem Engagement bei der einst mit gut 18 Mrd. Euro geretteten Commerzbank zu realisieren. Mit der Ankündigung wiederum, Lebensversicherern, Pensionskassen und Versorgungswerken Anlagen in Wagniskapital, Start-ups, Aktien oder Infrastruktur zu erleichtern, müsste sich die FDP jedoch erst einmal an internationalen Regelwerken wie Solvency II messen lassen. Und während die Partei mit der Forderung, „Mittelstand, Selbständigen und Start-ups mehr Raum für Erfolg und kreative Lösungen“ zu geben, um Wählerstimmen kämpfte, hält BaFin-Präsident Mark Branson zumindest für die von ihm geführte Institution nicht viel von einem Finanzplatz-Förderungsauftrag, wie ihn die britische Aufsicht FCA innehat.
Auch jenseits solch struktureller Fragen dürfte die Politik den Akteuren des Finanzplatzes noch eine ganze Menge Geduld abverlangen. Die Koalitionsgespräche dürften dauern, und Finanzplatzpolitik zählt kaum zu den Themen, die den Parteien am stärksten auf den Nägeln brennt. Die Nachricht, dass Frankfurt im internationalen Standortwettbewerb an Attraktivität verloren hat und im jüngsten Finanzplatz-Ranking der Z/Yen Group nicht einmal mehr unter die Top 10 gekommen ist, wurde da im Endspurt des Wahlkampfs denn auch konsequenterweise ignoriert.
Über Wohl und Wehe des Finanzplatzes wird zwar nicht nur in Berlin entschieden, sondern auch in Brüssel. Ob sich aber mit der künftigen Bundesregierung an der deutschen Position zu den für den Finanzplatz relevanten Themen etwas ändern wird, steht dahin: Schon bisher bremste das von Scholz geführte Bundesfinanzministerium, wenn auf EU-Ebene wieder einmal die Bemühungen um eine Vergemeinschaftung der Einlagensicherung intensiviert wurden. Wie gehabt klang am Montag daher die Mahnung von Deutsche-Bank-Chef Christian Sewing in seiner Funktion als Bankenpräsident: „Die neue Bundesregierung sollte mehr Europa wagen – nur so werden wir unsere Souveränität im internationalen Kräftemessen erhalten.“
Internationales Kräftemessen
Im Rennen um die Ansiedlung weiterer internationaler Institutionen steht Deutschland in jedem Fall ein Kräftemessen bevor. Gleich für zwei von ihnen hat Frankfurt seinen Hut in den Ring geworfen: für die geplante europäische Anti-Geldwäsche-Behörde AMLA und den künftigen Standardsetzer für grüne Bilanzierung, den International Sustainability Standards Board (ISSB).
Bei der Bewerbung um den ISSB mit vorerst rund 80 Planstellen, über dessen Standort Anfang November entschieden werden soll, tritt Hessens Wirtschaftsministerium, wohlgemerkt mit breiter Unterstützung auch durch das Bundesfinanzministerium, unter anderem gegen Genf, London, Japan sowie Kanada an. Im Falle der Anti-Geldwäsche-Behörde AMLA, deren Sitz erst in der zweiten Hälfte des kommenden Jahres festgelegt werden dürfte, gegen Wien und Paris.
Frankreichs Hauptstadt war man vor Jahren unterlegen, als die Stadt an der Seine den Zuschlag für die European Banking Authority (EBA) erhalten hatte. Hieß es vor Wochen noch, eine von der gemeinsamen Arbeitsgruppe von Land und Bund vorbereitete Bewerbung Frankfurts könnte schon vor der Bundestagswahl fertiggestellt sein, so ließ das hessische Ministerium für Bundes- und Europaangelegenheiten am Montag auf Anfrage wissen, man sei in den letzten Zügen und stimme die Unterlagen noch ab.
Die Akteure am Finanzplatz müssen ohnehin hoffen, dass ein Kanzler Olaf Scholz noch mit Hessens Ministerin für Bundes- und Europaangelegenheiten, Lucia Puttrich, an einem Strang ziehen will. Schließlich hatte die Christdemokratin ihn nach der jüngsten Razzia im Finanzministerium wegen Ermittlungen zu liegen gebliebenen Geldwäscheverdachtsmeldungen ausgesprochen harsch kritisiert.
Indifferente Haltung
Jenseits durchaus berechtigter Klagen über eine indifferente Haltung Berlins dem Finanzsektor gegenüber darf freilich auch gefragt werden: Was haben die großen Spieler des Frankfurter Finanzplatzes, Deutsche Börse, Deutsche Bank und Commerzbank, in den vergangenen Jahren denn für die Attraktivität des Finanzplatzes geleistet? Bevor 2018 Theodor Weimer und Christian Sewing bei Deutscher Börse und Deutscher Bank sowie zu Jahresbeginn Manfred Knof bei der Commerzbank das Ruder übernahmen, machten diese Gesellschaften vor allem mit fehlschlagenden Übernahmeprojekten, einem strategischen Zickzack-Kurs oder einer missglückenden Wachstumsstrategie im Zinstief von sich reden.
Auch das Engagement in einschlägigen Institutionen könnte größer sein. Die Zeiten jedenfalls, in denen ein Deutsche-Bank-Chef wie Rolf-E. Breuer „Mr. Finanzplatz“ war, sind vorbei. Auf der Website der Finanzplatz-Lobbyorganisation Frankfurt Main Finance etwa wird als Vertreter der Deutschen Bank im Vorstand bzw. Präsidium Frank Kuhnke aufgeführt, der beim blauen Konzern schon im Frühjahr seinen Hut nehmen musste. Die Commerzbank, deren Vizechefin Bettina Orlopp gleichwohl dem Bankenverband Hessen vorsitzt, ist überhaupt nicht im Gremium vertreten. Der Weg zu einer Aufwertung des Finanzplatzes, das gilt auch nach der Bundestagswahl, ist keine Einbahnstraße.