Der schärfste Kritiker der Elche
The End of Alchemy. Money, Banking and the Future of the Global Economy. Mervyn King. Abacus, London 2017. ISBN 978-0-349-14067-4, 430 Seiten, 10,99 Pfund. Das Ende der Alchemie. Banken, Geld und die Zukunft der Weltwirtschaft. Mervyn King. Finanzbuch Verlag, München 2017. ISBN 978-3-95972-021-2, 416 Seiten, 26,99 Euro.Von Andreas Hippin, London”Die schärfsten Kritiker der Elche waren früher selber welche”, reimte einst der deutsche Satiriker F.W. Bernstein. Wer Mervyn Kings Abrechnung mit den Alchemisten der Notenbanken liest, kann Bernstein nur recht geben. Der ehemalige Gouverneur der Bank of England spart nicht mit Kritik. Die Schärfe überrascht mitunter, hatte er doch die Finanzkrise selbst nicht kommen sehen. Aus seiner Sicht war das Unvermögen, “radikale Unsicherheit” in ökonomischen Theorien zu berücksichtigen, einer der Faktoren für die Fehleinschätzungen, die zur Finanzkrise führten. Fast alle Dinge, die unser Leben bestimmen, ob nun Autos, Computer oder Antibiotika, seien einmal unvorstellbar gewesen. Die Unfähigkeit, die Zukunft vorherzusehen, gehöre zu den grundlegenden Herausforderungen in einer kapitalistischen Gesellschaft. Die Zukunft biete mehr Möglichkeiten, als wir heute auflisten und mit Wahrscheinlichkeiten versehen können.King erzählt in seinem Buch keine Anekdoten aus der Zeit der Finanzkrise. Ihm geht es nicht darum, seine Rolle im Nachhinein schönzuschreiben. Man erfährt aber auch wenig über das, was in dem festungsartigen Gebäude der Notenbank besprochen wurde. King will seine Unterlagen aus der Zeit, als Northern Rock zusammenbrach und die Großbanken Lloyds Banking Group und Royal Bank of Scotland vom Staat über Wasser gehalten werden mussten, der Öffentlichkeit erst nach 20 Jahren zugänglich machen.”Unser Ziel war es, Geldpolitik so langweilig wie möglich zu machen”, schreibt King. “Man kann sagen, dass wir dieses Ziel nicht erreicht haben.” Er untersucht in seinem Werk, warum der bislang größte geldpolitische Stimulus in der Weltgeschichte keine besseren Resultate geliefert hat. Die Zentralbanken hätten alle ihnen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten genutzt, die Ergebnisse seien gleichwohl enttäuschend ausgefallen. “Was man auch über die weltweite Erholung seit der Krise sagen mag, sie war weder stark noch nachhaltig, noch ausgewogen.”Die dieses Jahr erschienene Taschenbuchausgabe des bereits 2016 vorgelegten Werks wurde mit einem neuen Vorwort versehen, das sich mit den Folgen des Votums der Briten für den EU-Austritt befasst. “So wie die Dinge stehen, wird der lange Marsch zur politischen Union, der von der die Europäische Union regierenden politischen Elite angestrebt wird, wohl keinen demokratischen Bestimmungsort erreichen”, schreibt King dort. “Wer Nationalismus anprangert, sollte sich klarmachen, dass der Versuch einer Elite, unwilligen Wählerschaften die politische Union aufzuzwingen, heute der größte Treiber der extrem nationalistischen Aufwallungen ist, die sie verabscheuen.” Europa stehe vor zwei existenziellen Herausforderungen: “Erstens die Erfolglosigkeit dabei, eine nachhaltige wirtschaftliche Basis für die Gemeinschaftswährung zu schaffen, den Euro. Zweitens das Ausmaß der Zuwanderung über die Grenzen der Europäischen Union, ob es sich nun um Flüchtlinge oder Wirtschaftsmigranten handelt.” Keine davon habe viel mit dem Brexit zu tun. Großbritanniens Ziel sollte es King zufolge sein, für ausreichend Selbstvertrauen und Realismus unter seinen europäischen Nachbarn zu sorgen, um zu verstehen, dass eine erzwungene politische Union den Kontinent nicht stabiler, sondern instabil mache.Dieses Vorwort ist in der deutschen Ausgabe nicht enthalten, doch der Finanzbuch Verlag konnte dem Autor ein eigenes Vorwort entlocken, das die wichtigsten Passagen enthält. “Deutschland steht vor einer schrecklichen Wahl”, schreibt King im Schlusskapitel. “Soll es die schwächeren Brüder in der Eurozone zu großen und unendlichen Kosten für seine Steuerzahler unterstützen, oder soll es das Projekt einer Währungsunion über ganz Europa hinweg stoppen?” Einen Mittelweg gebe es nicht.