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Der unaufhaltsame Aufstieg der Dido Harding

Von Andreas Hippin, London Börsen-Zeitung, 23.9.2020 Um den ebenso unaufhaltsamen wie unerklärlichen Aufstieg der ehemaligen Talktalk-Chefin Diana "Dido" Harding (52) zu erklären, wird gerne der Begriff "Chumocracy" bemüht. Dahinter verbirgt sich...

Der unaufhaltsame Aufstieg der Dido Harding

Von Andreas Hippin, LondonUm den ebenso unaufhaltsamen wie unerklärlichen Aufstieg der ehemaligen Talktalk-Chefin Diana “Dido” Harding (52) zu erklären, wird gerne der Begriff “Chumocracy” bemüht. Dahinter verbirgt sich das Netzwerk der Kumpels (“Chums”), die sich noch aus der Zeit in Eton oder Oxford kennen und einem von ihresgleichen ermöglichen, nach oben zu kommen. Tatsächlich mag es für den Lebenslauf der Enkelin von Feldmarschall John Harding, der im Zweiten Weltkrieg die “Wüstenratten” gegen das Deutsche Afrikakorps führte, nicht unerheblich gewesen sein, dass David Cameron während ihrer Studentenzeit zu ihren Freunden zählte. Vor sechs Jahren verschaffte er ihr ein Oberhausmandat auf Lebenszeit. Dass Baroness Harding of Winscombe allerdings noch lange nach Camerons Fall für hohe öffentliche Ämter in Erwägung gezogen wird, lässt sich nicht allein durch ihr gutes Verhältnis zu ihm erklären. Empörung bei der OppositionDie ehemalige McKinsey-Beraterin soll künftig das National Institute for Health Protection (NIHP) führen, dem die Aufgaben von Public Health England (PHE) übertragen werden, der Gesundheitsbehörde, die im Kampf gegen die Coronavirus-Pandemie kein gutes Bild abgegeben hatte. Auch NHS Track & Trace, das von Harding geführte Kontaktverfolgungsprogramm des öffentlichen Gesundheitswesens, das sich bislang als unfähig erwies, seinen Aufgaben nachzukommen, soll darin aufgehen. Nein, sie habe sich nicht auf die Stelle beworben, sagte Harding auf Nachfrage des Labour-Abgeordneten Graham Stringer. Ein Minister habe ihr den Job angeboten – eine interessante Form der Stellenausschreibung für ein öffentliches Amt. “Ich wollte meinem Land dienen”, fügte sie hinzu. Eine entsprechende Qualifikation im Gesundheitswesen, eine formelle Bewerbung und ein Bewerbungsgespräch waren dafür offenbar nicht erforderlich. Harding will für die Ausübung ihres künftigen Amts bemerkenswerterweise kein Geld. Allerdings bezieht sie bereits als Chairman von NHS Improvement ein Gehalt.Chaand Nagpaul, der Chef des Ärzteverbands British Medical Association, warnte vor politischer Einflussnahme auf die neue Institution NIHP. Hardings Ehemann ist der Tory-Unterhausabgeordnete John Penrose. Sie selbst hatte sich im Oberhaus den Konservativen angeschlossen. Auf den Oppositionsbänken löste die Personalie Empörung aus. Man darf annehmen, dass die Auflösung von PHE auch dazu dienen soll, von der Verantwortung der Regierung für die Fehler und Pannen im Umgang mit der Pandemie abzulenken. Cost of Doing BusinessNach wie vor mangelt es im ganzen Land an Covid-19-Tests. Harding behauptete bei einem Auftritt vor einem Unterhausausschuss, es habe ja keiner ahnen können, dass die Nachfrage nach Tests in die Höhe schnellen würde, wenn die Schulen wieder öffnen und viele Menschen wieder an ihre Arbeitsstellen zurückkehren. Ein Viertel derjenigen, die getestet werden wollten, zeige nicht einmal Symptome. Die Nachfrage übersteige das Angebot um das Drei- bis Vierfache. Zuletzt regte sie einem Bericht der Zeitung “i” zufolge an, dass Unternehmen und Einzelpersonen, die schnell auswertbare Tests haben wollen, dafür bezahlen sollten, als “Cost of Doing Business” gewissermaßen – ein wahrhaft marktwirtschaftlicher Ansatz. Solche Tests seien für das Gesundheitswesen nicht verlässlich genug. Es sei wichtiger, diejenigen zu testen, die Symptome zeigten.Vor sechs Jahren wurde sie als Non-Executive Director ins Aufsichtsgremium der Bank of England aufgenommen (vgl. BZ vom 24.7.2014). Der damalige Gouverneur Mark Carney wollte die Zahl der Frauen in verantwortlichen Positionen erhöhen. Talktalk-Kunden dürfte Harding im Gedächtnis geblieben sein, nachdem sich während ihrer Amtszeit einer der schwerwiegendsten Hackerangriffe ereignete, die es bis dahin gegeben hatte. Angeblich hatte der Breitbandanbieter an den IT-Sicherheitsvorkehrungen gespart. Unter ihrer Führung wurde Talktalk auch zweimal mit dem “Hölzernen Löffel” für den schlechtesten Kundendienst ausgezeichnet, der von der “Money Mail” vergeben wird. Harding hatte davor Führungspositionen im britischen Einzelhandel inne, unter anderem bei J Sainsbury und Tesco.Harding ist kein Einzelfall. NHS-Chef Simon Stevens war angeblich ein Freund von Boris Johnson, als dieser noch in Oxford studierte, obwohl er zu Labour neigte. Matthew Gould, der als Chef von NHSX die Entwicklung einer Corona-App in den Sand setzte, ist ein Schulfreund des ehemaligen Schatzkanzlers George Osborne.