Der Wendepunkt in der Euro-Krise

Draghis Rede im Juli 2012 hat die Märkte zwar beschwichtigt, die Staatsfinanzierung aber hoffähig gemacht

Der Wendepunkt in der Euro-Krise

Von Stephan Lorz, FrankfurtHeute vor fünf Jahren loderte die Euro-Schuldenkrise schon beinahe drei Jahre. Griechenland erhielt gerade sein zweites Rettungspaket, das Wort vom “Grexit” machte die Runde; auch die Iren und Portugiesen waren faktisch pleite und benötigten Finanzhilfen; Rettungsfonds wurden gegründet; fast im Wochentakt fanden Krisengipfel statt – und trotzdem schossen die Renditen immer weiter nach oben auf Niveaus, die keines der betroffenen Länder längere Zeit hätte stemmen können. Von einem Investorenstreik war die Rede, ein Zusammenbruch der Währungsunion schien nur noch eine Frage von Wochen.In dieser Lage sorgten magere drei Worte für die sehnlichst erwartete Entspannung an den Märkten: “Whatever it takes”, sagte EZB-Chef Mario Draghi am 26. Juli 2012 im noblen Lancaster’s House in London bei einer Investorentagung. Die EZB werde – koste es, was es wolle – alles tun, um den Euro zu erhalten. “Und glauben Sie mir, es wird genug sein”, fügte er hinzu.Wie ein Blitz schlug diese Aussage in die Märkte ein: Die Renditen bildeten sich zurück, neue Zuversicht für die Eurozone kehrte ein. Denn den Marktteilnehmern wurde schlagartig klar, dass Draghi hier einen Tabubruch begangen hatte: Er versprach die Rettung überschuldeter Staaten mit Notenbankgeld, nahm dafür die Vergemeinschaftung der Staatsschulden in Kauf und überschritt die rote Linie zur Staatsfinanzierung. Draghi selber betonte in seiner Rede zwar gleich mehrfach, dass das alles nur “innerhalb des Mandats” geschehe, für die Märkte war aber klar: die EZB ist der Garant der Eurozone – und hat die Mittel dazu, den Verbund zusammenzuhalten.Dem Vernehmen nach hatte Draghi nicht damit gerechnet, dass seine Worte eine so fulminante Wirkung erzeugten. KfW-Ökonom Sebastian Wanke attestiert ihm aber gleichwohl ein “besonderes Feingefühl für die Psychologie internationaler Investoren”. Zudem sei es ein starkes Bekenntnis für Europa gewesen.Um den Ernst dieses Vorhabens zu unterstreichen, legte die EZB Anfang September 2012 noch ein Programm vor, das im Notfall den unbegrenzten Anleihenkauf durch die EZB vorsieht. Bis heute blieb dieses Programm zwar ungenutzt, fand aber Nachfolger in den noch aktuellen Anleihekaufprogrammen.Seit Draghis Rede ist die Notenbankwelt in Europa eine andere: Eine unkonventionelle Maßnahme nach der anderen wurde seither eingeleitet bis hin zu Negativzinsen. Draghis Worte und das Handeln des EZB-Rats hat gleichzeitig eine gigantische Umverteilung gestartet. Ökonomen sprechen von der finanziellen Repression, weil Sparer und Versicherungen unter den niedrigen Zinsen leiden und vielen die private Altersvorsorge um die Ohren fliegt. Denn der Zinseszinseffekt ist kaum mehr wirksam.Schuldner dagegen wie die öffentliche Hand können sich freuen. Die KfW hat den seit Draghis Rede “kumulierten Refinanzierungsvorteil” und den Vorteil aus den Anleihekaufprogrammen in einer Studie zusammengerechnet und kommt auf gewaltige Summen, wenn man die damaligen Zinslasten mit den heutigen vergleicht: bei Italien sind es 110,4 Mrd. Euro oder 6,6 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) die Rom spart, im Falle Spaniens 5,3 Mrd. Euro (5,3 %). Deutschland, das schon vor der Rede als “sicherer Hafen” galt, was die Zinsen gedrückt hatte, spart nur 7,4 Mrd. Euro (0,2 %).Abgesehen von der Umverteilung der Risiken und Finanzlasten half die Rede also auch bei der Budgetkonsolidierung. Ohne Draghi hätten Spanien und Italien ihre Haushalte um bis zu 2 % des BIP pro Jahr stärker konsolidieren müssen. Und in Italien war der graduelle Defizitabbau der letzten beiden Jahre, schreibt KfW-Ökonom Philipp Ehmer, “wohl nur durch die verringerte Zinsbelastung möglich”. Das Defizit heute läge bei den Refinanzierungskosten, die bis Mitte Juli 2012 geherrscht hatten, bei über 4 %. Kein Wunder, dass derzeit von Seiten der Euro-Staaten kein Druck auf die EZB ausgeübt wird, ihre unkonventionellen Maßnahmen zurückzufahren.