GastkommentarItaliens Staatsfinanzen

Der Wille zu einer soliden Haushaltspolitik ist in Italien nicht erkennbar

An den Finanzmärkten haben die Sorgen um Italiens Staatsfinanzen wieder zugenommen. Grund ist die Finanzpolitik Roms. Die Regierung von Georgia Meloni plant mit höheren Defiziten als ursprünglich vorgesehen.

Der Wille zu einer soliden Haushaltspolitik ist in Italien nicht erkennbar

Der Wille zu einer soliden Haushaltspolitik ist in Italien nicht erkennbar

Von Jörg Angelé Bantleon

Der Risikoaufschlag italienischer Staatsanleihen mit 10-jähriger Laufzeit gegenüber entsprechenden Bundesanleihen hat sich seit Ende Juli von 160 Basispunkten auf rund 200 Basispunkte ausgeweitet. Hintergrund sind neuerliche Sorgen um die Solidität der italienischen Staatsfinanzen, da sich seit dem Sommer abgezeichnet hatte, dass Rom seine Haushaltsziele sowohl in diesem als auch im nächsten Jahr nicht erreichen wird.

Ende September verwarf die Regierung dann tatsächlich ihr Ziel, das Defizit in diesem Jahr auf 4,5% zu drücken. Stattdessen wird nun ein Fehlbetrag von 5,3% angestrebt. 2024 soll die Neuverschuldung bei 4,3% des BIP liegen – obwohl nach Regierungsangaben auch 3,6% möglich wären. Hierzu müsste Ministerpräsidentin Giorgia Meloni allerdings auf die von ihr im Wahlkampf versprochene steuerliche Entlastung von Unternehmen und Familien verzichten, wozu sie aber offenkundig nicht bereit ist. Zugleich soll die Schuldenquote von 140,2% in diesem Jahr bis 2026 lediglich auf 139,6% sinken.

Annahmen zu optimistisch

Tatsächlich dürften sich die Staatsfinanzen in den kommenden Jahren ungünstiger entwickeln, als es die Planung der Regierung vorsieht. Denn infolge des Auslaufens des Superbonus, eines massiven steuerlichen Anreizprogramms zur energetischen Sanierung von Wohnraum, und der Einstellung der staatlichen Zahlungen zur Abfederung der gestiegenen Energiepreise wird aus dem fiskalischen Rückenwind der vergangenen Jahre ein beachtlicher konjunktureller Gegenwind. Aus diesem Grund halten wir die von der Regierung getroffene Annahme eines realen Wachstums des Bruttoinlandsprodukts (BIP) in Höhe von 1,0% bis 1,4% in den Jahren 2024 bis 2026 für zu optimistisch.

Die bisherigen Bemühungen der Regierung, zusätzliche Einnahmen zu generieren beziehungswiese Ausgaben zu streichen, sind eher kosmetischer Natur. Das gilt für die geplanten Kürzungen beim Bürgergeld ebenso wie für die mit heißer Nadel gestrickte Bankensondersteuer. Auch der geplante Verkauf von Beteiligungen, etwa an der staatlichen Eisenbahngesellschaft sowie am staatlich kontrollierten Autobahnbetreiber, ist nicht der große Wurf, sondern verschafft der Regierung lediglich kurzfristig etwas Luft. Verschärfend kommt hinzu, dass die staatlichen Zinsausgaben infolge der stark gestiegenen Kapitalmarktzinsen in den kommenden Jahren spürbar zunehmen werden.

Die wenig ambitionierten Konsolidierungsbemühungen Roms stehen im klaren Widerspruch zu den bisherigen Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspakts (SWP) der EU. Die sehen ein Haushaltsdefizit von maximal 3,0% sowie den Abbau des Teils der Schuldenquote, der über 60% hinausgeht, um ein Zwanzigstel pro Jahr vor. Im Fall Italiens wären das bei einer aktuellen Schuldenquote von gut 140% rund 4,0 Prozentpunkte jährlich. Gemäß Haushaltsplanung von Ende September ist bis 2026 jedoch lediglich ein Rückgang um in Summe 0,6 Prozentpunkte vorgesehen.

Vor einem harten Durchgreifen oder gar der Einleitung eines Defizitverfahrens durch die EU-Kommission muss man sich in Rom jedoch nicht fürchten. Zwar sollen die Haushaltsregeln ab kommendem Jahr wieder verbindlich gelten, nachdem sie zwischen 2020 und 2023 ausgesetzt waren. Da neben Italien jedoch auch andere Euro-Länder, allen voran Frankreich, auf Jahre hinaus nicht vorhaben, sich erneut dem Diktat des SWP zu unterwerfen, dürfte das Regelwerk unter der derzeitigen spanischen EU-Ratspräsidentschaft stark aufgeweicht werden.

Ob sich Deutschland mit seiner Forderung durchsetzen kann, im Falle einer übermäßig hohen Verschuldung zumindest eine Reduktion der Schuldenquote um 1,0 Prozentpunkte pro Jahr vorzuschreiben, darf bezweifelt werden. Die Glaubwürdigkeit der Bundesregierung ist stark angeschlagen, nachdem man große Teile der hiesigen Neuverschuldung in Schattenhaushalte ("Sondervermögen") auslagert. Die so erreichte "Einhaltung" der Defizitkriterien dürfte die übrigen EU-Länder wenig beeindrucken.

Die italienische Regierung wäre gut beraten, die Staatsfinanzen auf eine nachhaltig solide Grundlage zu stellen, um jeglicher Spekulation um die Tragfähigkeit der Staatsverschuldung die Grundlage zu entziehen. Das Land am Mittelmeer hat bereits früher bewiesen, dass dies auch bei höheren Zinsen möglich ist. Leider lässt Rom bisher keinen Willen hierzu erkennen.

Insbesondere die Absicht, den Schuldenstand gemessen am Bruttoinlandsprodukts (BIP) bis 2026 quasi nicht zu reduzieren, ist bedenklich. Abgesehen davon, dass sich selbst der geplante Mini-Schuldenabbau wegen der unserer Ansicht nach zu optimistischen Konjunkturannahmen nicht realisieren dürfte, ist eine dauerhafte Schuldenquote von 140% eine tickende Zeitbombe. Wie zuvor die Finanzkrise, die Euro-Schuldenkrise und die Corona-Pandemie wird auch der nächste globale Schock zu in die Höhe schnellenden Staatsausgaben und wegbrechenden Einnahmen führen. Ein Anstieg des Schuldenstands auf 150% bis 160% kann in der Folge nicht ausgeschlossen werden – spätestens dann könnten die Ratingagenturen ihren Daumen über Italien senken und das Land erneut in den Non-Investment-Grade-Bereich herabstufen.

Im Notfall greift EZB ein

Vor diesem Hintergrund gehen wir davon aus, dass sich der Risikoaufschlag italienischer Staatsanleihen in den kommenden Quartalen und Jahren tendenziell ausweitet. Einen erneuten massiven Spreadanstieg wie während der Euro-Schuldenkrise erwarten wir jedoch nicht. Dem würde sich letztendlich die EZB entgegenstellen. Hierzu kann sie auf ihr Transmission Protection Instrument (TPI) genanntes Programm zurückgreifen und in großem Stil italienische Staatsanleihen kaufen. Bis dieses zum Einsatz käme, können die Spreads bei 10-jährigen BTPs aber durchaus in Richtung 300 Basispunkte klettern.

Jörg Angelé

Senior Economist bei Bantleon

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