IM BLICKFELD

Deutsch-französisches Unverständnis

Von Gesche Wüpper, Paris Börsen-Zeitung, 28.5.2013 Erst Bundesbankpräsident Jens Weidmann, dann Außenminister Guido Westerwelle, Finanzminister Wolfgang Schäuble, Arbeitsministerin Ursula von der Leyen, Altkanzler Helmut Schmidt und schließlich...

Deutsch-französisches Unverständnis

Von Gesche Wüpper, ParisErst Bundesbankpräsident Jens Weidmann, dann Außenminister Guido Westerwelle, Finanzminister Wolfgang Schäuble, Arbeitsministerin Ursula von der Leyen, Altkanzler Helmut Schmidt und schließlich Bundeskanzlerin Angela Merkel: Die Liste hochrangiger deutscher Persönlichkeiten, die in diesen Tagen nach Paris reisen, könnte nicht länger sein. Im Gegenzug nahm Frankreichs Präsident François Hollande letzte Woche an den Festlichkeiten zum 150. Jahrestag der SPD in Leipzig teil. Auf den ersten Blick scheint wieder Schwung in die deutsch-französischen Beziehungen gekommen zu sein, scheinen die historischen Partner wieder näher aneinander rücken zu wollen. Macht der GewerkschaftenDoch der erste Eindruck täuscht. Zwar lobte Hollande in Leipzig ausdrücklich den Realismus der deutschen Sozialdemokraten und die Reformen von Gerhard Schröder. Doch genau das zeigt auch, dass es ein grundlegendes Verständigungsproblem zwischen beiden Ländern zu geben scheint. So zeigt Hollandes Lob, dass er nicht verstanden hat, dass sich die SPD zum Teil wieder von den Reformen distanziert hat. Zum anderen aber werden die Äußerungen Hollandes in Deutschland als Zeichen für einen Wandel in der Politik der sozialistischen Regierung gedeutet. Dies dürfte nicht der Fall sein. Zwar scheint Hollande tatsächlich bereit zu sein, gewisse Reformen wie die des Rentensystems durchzuführen. Doch radikale Schritte, wie sie vor zehn Jahren in der Bundesrepublik unternommen wurden, dürften ausbleiben. Zu groß ist in Frankreich die Macht der Gewerkschaften. Zwar sind einige von ihnen durchaus aufgeschlossen gegenüber Reformen, doch ein paar wenige eben nicht. Doch genau diese Gruppierungen sind besonders protestbereit. Die Furcht davor lässt französische Politiker immer wieder vor radikale Reformen zurückschrecken .Dazu kommt die Tatsache, dass die sozialistische Partei Frankreichs nur wenig mit den deutschen Sozialdemokraten gemein hat. So gibt es innerhalb der französischen Partei einen linken Flügel, dessen Ideen an den Klassenkampf längst vergessener Zeiten erinnern. In Deutschland ist man sich dessen viel zu wenig bewusst, genau wie der Grundhaltung eines großen Teils der französischen Bevölkerung, von der Worte wie Liberalisierung und Unternehmen als bösartig, ja als Schimpfwörter empfunden werden.Die grundsätzlich unterschiedlichen wirtschaftlichen Haltungen beider Länder sind jedoch nicht erst mit der Krise entstanden. Während die Bundesrepublik bereits seit langem eher freihändlerisch ausgerichtet ist, auf Mitbestimmung und das Verantwortungsbewusstsein der Bürger setzt, ist Frankreich etatistisch orientiert. Dem Staat wird eine zentrale Rolle zugestanden, während Unternehmen und die freie Wirtschaft eher abfällig betrachtet werden. Gegenseitige VorwürfeDiese so gegensätzliche Grundeinstellung hat vor allem in den vergangenen Monaten dazu geführt, dass sich beide Länder gegenseitig Vorwürfe machen – weil sie sich eben nicht verstehen. Viele Franzosen, darunter auch der linke Flügel der sozialistischen Regierungspartei, werfen Deutschland vor, Europa seiner Sparpolitik unterwerfen zu wollen und von der Schwächung seiner europäischen Nachbarn, also von der Krise, zu profitieren.Allein die Fragen, die deutschen Besuchern dieser Tage in Frankreich oft gestellt werden, zeigen, wie weit diese Vorurteile reichen. Immer wieder taucht der Begriff “Austerität” auf, die Sorge, dass Deutschland von Frankreich fordern werde, mehr einzusparen. Bei Deutschen löst das die amüsierte Gegenfrage aus, von welcher Sparpolitik denn die Rede sei. Denn bisher habe die französische Regierung doch lediglich die Steuern erhöht, aber noch gar nicht ihre Ausgaben gekürzt.In der französischen Bevölkerung wird die Haushaltspolitik, die Hollandes sozialistische Regierung verfolgt, jedoch bereits jetzt als eine nie dagewesene Härte empfunden. Würde sie den französischen Bürgern Anpassungen abverlangen, wie sie die Deutschen erbracht haben, wären wochenlange Proteste auf den Straßen vorprogrammiert. Das haben bereits die Demonstrationen gegen die Homosexuellen-Ehe gezeigt, in denen sich auch der Frust über die Wirtschaftspolitik Hollandes und über die Krise entlud.Die Ankündigung von Wirtschaftsminister Pierre Moscovici, es werde nun doch keine gesetzliche Deckelung der Gehälter von Unternehmenschefs geb en, führte ebenfalls zu entrüsteten Reaktionen des linken Lagers innerhalb der Regierungspartei. Das zeigt, wie vorsichtig Hollande taktieren muss, wenn er nicht riskieren will, dass ihm ein Teil des eigenen Lagers in den Rücken fällt und ihm ohnehin schwierige Reformen noch zusätzlich erschwert. Das scheinen viele Politiker und Bürger in Deutschland jedoch zu unterschätzen, wenn sie Frankreich kritisieren.Im Gegenzug unterschätzen jedoch viele Franzosen, dass die Bundesregierung die deutsche Bevölkerung nicht einfach so zu mehr Konsum treiben kann. Dies ist eine der Forderungen, die man in Frankreich immer wieder hört – genau wie die nach der Erhöhung der Löhne. Dass die Deutschen jedoch ein Volk sind, das weniger konsumfreudig sondern preisbewusst ist ( wie schon der Werbespruch “Geiz ist geil” zeigt) verstehen viele Franzosen nicht. Denn in Frankreich ist der Konsum der Privathaushalte einer der traditionell wichtigsten Wachstumsmotoren.Ein wenig mehr Verständnis für die Eigenheiten des jeweils anderen könnten bei einer Verbesserung des deutsch-französischen Verhältnisses helfen. Schließlich sind beide Länder innerhalb Europas aufeinander angewiesen. Deutschland braucht Frankreich als starken Partner. Ebenso braucht aber auch Frankreich die Unterstützung Deutschlands, die Gewissheit, in den Augen des mit einer Mischung aus Bewunderung und Neid als mächtige Wirtschaftskraft angesehenen Landes ein gleichwertiger Partner zu sein. Symbolische Gesten helfenViele Politiker, die dieser Tage an die Seine kamen, haben das erkannt. Frankreich habe ein viel zu schlechtes Bild von sich selber, schmeichelten sie. Es müsse nur an seine eigene Zukunft glauben und Veränderungen als Chance begreifen. Eine solche Haltung dürfte in Frankreich ankommen, genau wie symbolische Gesten, die für das geschichtsbewusste Land noch immer eine große Rolle spielen. Dagegen wird die harsche Kritik, wie sie in den vergangenen Monaten teilweise aus Deutschland zu vernehmen war, als arrogante Lehrmeisterei empfunden. Doch selbst wenn die deutsch-französischen Beziehungen derzeit auf eine harte Probe gestellt werden, gibt es Hoffnung. Denn d as war bereits in der Vergangenheit oft der Fall. Bisher aber hat sich das deutsch-französische Paar jedes Mal davon erholt.