Deutsche Gewerkschaften attackieren EZB
Deutsche Gewerkschaften attackieren EZB
IG-Metall-Chef Hofmann: Die EZB sollte die Zinsschraube nicht überdrehen – Sorgen wegen schwächelnder Wirtschaft
ms Frankfurt
Unmittelbar vor der Zinsentscheidung der Europäischen Zentralbank (EZB) am Donnerstag haben deutsche Gewerkschaftsvertreter eindringlich vor weiteren Zinserhöhungen im Euroraum gewarnt. Sowohl der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) als auch die IG Metall und die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi äußerten sich am Mittwoch entsprechend und verwiesen auf die schwächelnde Wirtschaft. Derweil deuteten neue Daten darauf hin, dass die Inflation in Deutschland weiter auf dem Rückzug ist – allerdings nach wie vor auf sehr hohem Niveau.
Der EZB-Rat kommt am Donnerstag zu seiner nächsten Sitzung zusammen, und die Spannung ist groß. Zwar gilt eine weitere Zinserhöhung um 25 Basispunkte quasi als ausgemacht. Der weitere Kurs ist aber unklar und durchaus umstritten unter den Notenbankern. Die Hardliner im EZB-Rat, die „Falken“, dringen auf weitere Zinserhöhungen, womöglich auch über den Sommer hinaus. Sie argumentieren mit der weiter zu hohen Inflation und warnen vor der Gefahr einer Lohn-Preis-Spirale. Die „Tauben“ dagegen mahnen zur Vorsicht und verweisen auf den deutlichen Rückgang der Inflation, die Abschwächung der Wirtschaft und die verzögerte Wirkung der bisherigen Straffung.
Seit Juli vergangenen Jahres hat der EZB-Rat seine Leitzinsen um insgesamt 375 Basispunkte erhöht – so aggressiv wie nie zuvor. Die Inflation im Euroraum ist seit dem absoluten Rekordhoch von 10,6% im Oktober auf 6,1% im Mai zurückgegangen. In Deutschland ist sie zuletzt bis auf EU-harmonisiert 6,3% gesunken. Im Mai gab es zudem erstmals auch einen deutlichen Rückgang der Euro-Kerninflation (ohne Energie und Lebensmittel) von 5,6% auf 5,3%. Sie gilt als besserer Gradmesser für den zugrunde liegenden Preisdruck. Die Wirtschaft in Euroland und in Deutschland ist derweil sowohl Ende 2022 als auch Anfang 2023 geschrumpft; sie befindet sich also in einer technischen Rezession.
Vor allem wegen der schwächelnden deutschen Wirtschaft wächst nun bei Gewerkschaftsvertretern der Unmut über die EZB. „Wir warnen die EZB vor weiteren Zinserhöhungen“, sagte DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell am Mittwoch der Nachrichtenagentur Reuters. „Höhere Zinsen bremsen die Nachfrage und die Wirtschaft aus, treiben Deutschland unnötig in eine Rezession.“ Ähnlich äußerte sich die IG Metall. „Die EZB sollte die Zinsschraube nicht überdrehen“, warnte deren Erster Vorsitzender Jörg Hofmann. „Die Konjunktur ist in einer schwierigen Situation, die gestiegenen Zinsen haben bereits der Baukonjunktur einen Dämpfer verpasst.“
Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi sieht den Kurs der Euro-Notenbanker ebenfalls kritisch. „Die starken Zinserhöhungen haben dazu beigetragen, die deutsche Volkswirtschaft in eine Rezession zu stürzen“, sagte Verdi-Chefökonom Dierk Hirschel. „Diese realwirtschaftlichen Kosten der Inflationsbekämpfung sind zu hoch.“ Weitere Zinsschritte seien auch „für die Bekämpfung der Inflation wenig hilfreich“, argumentierte IG-Metall-Chef Hofmann. Die aktuelle Teuerung habe ihre Ursachen in extrem gestiegenen Energie- und Rohstoffpreisen und deren Weitergabe in den Erzeugerpreisen. Somit sei hier der Einfluss der Geldpolitik „sehr begrenzt“.
Die Gefahr einer Lohn-Preis-Spirale weisen die Gewerkschaften zurück. „Die jüngsten Tarifabschlüsse der Gewerkschaften in Deutschland sind zwar gut ausgefallen, gefährden aber nicht das Preisstabilitätsziel der EZB“, sagte DGB-Vorstand Körzell. „Neuere Analysen zeigen vielmehr: Ein erheblicher Teil der Inflation geht aktuell auf den Profithunger der Unternehmen zurück, die ihre Preise stärker anheben, als es zur Kompensation höherer Kosten notwendig wäre.“ Der Staat sollte dieser Entwicklung etwa durch Übergewinnsteuern und ein starkes Kartellrecht frühzeitig einen Riegel vorschieben. Inwieweit die Unternehmer Inflationstreiber sind, wird kontrovers diskutiert. Viele Ökonomen und auch Notenbanker sehen eine Lohn-Preis-Spirale als größere Gefahr.
Preisdruck lässt nach
Unterdessen haben am Mittwoch neue Daten die Hoffnung genährt, dass die Inflation künftig weiter zurückgehen wird. So sanken in Deutschland die Preise auf Großhandelsebene im Mai deutlich. Zum Vorjahresmonat gingen die Großhandelspreise um 2,6% zurück, wie das Statistische Bundesamt mitteilte. Das ist der stärkste Rückgang seit fast drei Jahren. Im vergangenen Jahr waren die Preise dagegen zeitweise um mehr als 20% gestiegen, vor allem wegen Kriegs Russlands gegen die Ukraine. Zudem setzte sich im Mai der fallende Trend des HWWI-Rohstoffpreisindex aus dem ersten Quartal weiter fort, wie das Institut mitteilte. Vor allem die Preise für Energierohstoffe sanken erneut deutlich.