Konjunktur

Deutsche Industrie bleibt das große Sorgenkind

In den vergangenen Wochen haben die Signale und mithin die Ängste zugenommen, dass Deutschland erneut in die Rezession rutschen könnte. Neue Daten zur Industrie verstärken das nun – auch wenn sie teils zu relativieren sind.

Deutsche Industrie bleibt das große Sorgenkind

Deutsche Industrie bleibt das große Sorgenkind

Deutlicher Rücksetzer bei Auftragseingängen – Belastung auch für europäische Wirtschaft

ms Frankfurt

Neue Signale aus der deutschen Industrie verschärfen die Sorgen um den Sektor und die Wirtschaft insgesamt. Zwar ist der am Mittwoch gemeldete Absturz bei den Industrieaufträgen im Juli um 11,7% gegenüber dem Vormonat zu relativieren, weil durch Großaufträge verzerrt. Ohne diese gab es laut Statistischem Bundesamt sogar ein leichtes Plus von 0,3%. Insgesamt belegen die Daten aber einmal mehr, dass sich die deutsche Industrie in der Krise befindet. Sie belastet dabei nicht nur die deutsche, sondern auch die europäische Wirtschaft.

Nach der technischen Rezession im Winterhalbjahr 2022/2023 ist die deutsche Wirtschaft im Frühjahr zumindest nicht weiter geschrumpft. In den vergangenen Wochen haben aber die Signale und mithin die Ängste zugenommen, dass es nun wieder bergab geht und Deutschland erneut in die Rezession rutschen könnte. Internationale Organisationen sehen Deutschland als einziges G7-Land, das dieses Jahr schrumpft. Das hat auch einen Streit in der Ampel über die richtige Wirtschaftspolitik entfacht. Als größte Euro-Volkswirtschaft hat Deutschland auch für Europa enorme Bedeutung.
Am Mittwoch nun teilte Destatis mit, dass die deutschen Industrieaufträge im Juli um satte 11,7% gegenüber Vormonat eingebrochen sind. Einen kräftigeren Rückgang gab es zuletzt zu Beginn der Coronakrise im April 2020. Von der Nachrichtenagentur Reuters befragte Ökonomen hatten lediglich mit einem Minus von 4,0% gerechnet. Im Juni ( 7,6%) und im Mai ( 6,2%) hatte es noch kräftige Zuwächse gegeben, für die vor allem Großaufträge gesorgt hatten – im Juni speziell im Luft- und Raumfahrtbereich.

Uneinheitliche Entwicklung

Diese Sonderkonjunktur fiel nun weg – was wesentlich zum Absturz beitrug. Der Auftragseingang ohne Großaufträge stieg im Juli 2023 sogar um 0,3%. Dazu trug auch die Autoindustrie bei. Die Fahrzeughersteller sammelten 2,7% mehr Aufträge verglichen mit Juni 2023.Und im weniger volatilen Dreimonatsvergleich lag der Auftragseingang von Mai bis Juli 2023 um 3,1% höher als in den drei Monaten zuvor. „Das Bild ist nicht so trüb, wie es auf den ersten Blick aussieht“, sagte Jörg Zeuner, Chefvolkswirt bei Union Investment. Auch Konjunkturindikatoren wie der Ifo-Index ließen auf niedrigem Niveau erste Anzeichen einer Stabilisierung erahnen.

Grund für allzu viel Optimismus liefern die Daten dennoch nicht. Zeuner hob hervor, dass der gesamte Auftragsbestand in der Industrie immer noch rund 5% unterhalb des Niveaus von Ende 2019 liege. „Die Konsumverschiebung hin zu mehr Dienstleistungen sowie gestiegene Energie- und Finanzierungskosten belasten das produzierende Gewerbe“, sagt Zeuner. Und Thomas Gitzel, Chefökonom der VP Bank, betont die uneinheitliche Entwicklung zwischen den Sektoren: „Für ein breitflächiges Anziehen der Industrieproduktion bedarf es eines ebenso breitflächig guten Auftragseingangs – und dies ist im Moment gerade nicht der Fall.“ So fiel etwa der Auftragseingang im wichtigen Maschinenbau um 8,7% und die Neubestellungen im Bereich von elektronischen Ausrüstungen gingen um 16,7% zurück.

„Eine nachhaltige Belebung der Industriekonjunktur lässt sich daraus angesichts des eingetrübten Geschäftsklimas und der schwachen Weltkonjunktur aber nicht ableiten“, erklärte auch das Bundeswirtschaftsministerium zu den neuen Daten. Der Chefvolkswirt der Hauck Aufhäuser Lampe Privatbank, Alexander Krüger, fügte hinzu: „Die Industrie bleibt Sorgenkind, die Auftragsbücher sind deutlich dünner als vor einem Jahr.“

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) übt sich dennoch in Optimismus. „Wir stecken in einer sehr anspruchsvollen Situation“, sagte er am Dienstag in einer RTL-Sendung. Es gebe aber politische Antworten und Lösungen. Die Bundesregierung habe bereits einige Antworten gegeben. Andere stünden noch aus. „Wir können da rauskommen. Wir werden da rauskommen.“

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