Deutsche Industrie im Tal der Tränen

Produktion bricht in Rekordtempo ein - Branche blickt düster in die Zukunft - Auslandsnachfrage im Fokus

Deutsche Industrie im Tal der Tränen

Der März dürfte für die deutsche Wirtschaft erst einmal als schwärzester Monat der Nachkriegszeit in die Bücher eingehen. Diesen Eindruck untermauern auch neue Daten zur Industrieproduktion. Im April wird es aber wohl noch einmal schlimmer kommen – insbesondere auch für die deutsche Industrie.ms Frankfurt – Die deutsche Industrie erlebt infolge der Corona-Pandemie einen beispiellosen Einbruch, und zumindest kurzfristig ist keine entscheidende Besserung in Sicht – im Gegenteil: Es dürfte zunächst sogar noch schlimmer kommen. Im März brach die Industrieproduktion unerwartet stark um 9,2 % zum Vormonat ein, wie das Statistische Bundesamt (Destatis) gestern mitteilte – der stärkste jemals verzeichnete Rückgang. Zugleich stürzte das Ifo-Barometer zu den Produktionserwartungen für die nächsten drei Monate auf – 51,4 Punkte ab – ein absoluter Tiefpunkt seit der Wiedervereinigung. Ob mittelfristig eine Erholung möglich ist und wie stark diese ausfällt, hängt entscheidend auch vom Ausland ab. Wirtschaft drängt PolitikDie neuen Daten belegen eindrucksvoll, wie schwer die deutsche Wirtschaft durch das Coronavirus und die Maßnahmen zur Eindämmung getroffen worden ist – trotz der beispiellosen, viele hundert Milliarden schweren Hilfen der Bundesregierung. Die deutsche Wirtschaft dringt deshalb immer stärker auf eine Lockerung der Maßnahmen und ein Wiederhochfahren der Wirtschaft und des gesellschaftlichen Lebens. Bund und Länder hatten am Mittwoch einige Beschränkungen gelockert und versichert, dass sie an einem Plan zur Wiederaufnahme der Wirtschaft arbeiten. Am Freitag kommender Woche gibt es eine erste Schätzung für das Bruttoinlandsprodukt (BIP) in Deutschland im ersten Quartal. Die Auguren erwarten im Mittel einen Rückgang von rund 2,5 %. Für das Euro-BIP hatte Eurostat in einer ersten Schätzung ein Minus von 3,8 % errechnet. Aber auch in Deutschland zeichnet sich für das zweite Quartal und für das Gesamtjahr ein historischer Einbruch ab. Die EU-Kommission hat am Mittwoch ein Minus von 6,5 % für 2020 vorausgesagt.Bereits am Mittwoch hatte Destatis von einem historischen Rückgang bei den Industrieaufträgen im März berichtet. Gestern setzte sich die Reihe der Hiobsbotschaften mit den Daten zur Industrieproduktion fort. Das Minus lag unterhalb der ohnehin düsteren Erwartungen der Experten von – 7,5 %. Im Februar hatte noch ein revidiertes Plus von 0,3 % zu Buche gestanden. “Selbst hartgesottenen Volkswirten kommen bei solchen Zahlen die Schweißperlen auf die Stirn”, sagte Thomas Gitzel, Chefvolkswirt der VP Bank.Der Einbruch erstrecke sich dabei über fast alle Sektoren. Besonders dramatisch war die Entwicklung in der Automobilindustrie. Dort lag das Minus bei 31,1 %. Einzig die Bauindustrie legte um 1,8 % zu. “Der Bausektor wird einer der wenigen positiven Wachstumsmotoren der deutschen Wirtschaft im ersten Quartal sein; eine wichtige Erklärung dafür, warum der Rückgang im ersten Quartal weniger stark ausfallen sollte als in den meisten anderen Ländern der Eurozone”, sagte Carsten Brzeski, Chefvolkswirt von ING Deutschland.Das Rekordminus bei der Produktion im März dürfte indes bereits im April schon wieder negativ übertroffen werden. Denn die Bundesregierung hatte den weitgehenden Lockdown im Kampf gegen die Krise erst im Verlauf des März ergriffen. “Die Negativrekorde werden bereits im kommenden Monat, wenn die April-Zahlen vorliegen, Makulatur sein”, sagte Ökonom Gitzel: “Es geht noch tiefer in den Keller.”Wie düster die kurzfristigen Aussichten eingeschätzt werden, belegt auch das entsprechende Ifo-Barometer für die kommenden drei Monate. Der Index gab im April rasant von – 21,4 Punkten auf – 51,4 Zähler nach. Das ist der tiefste Punkt seit der Wiedervereinigung. Der Rückgang um 30,0 Punkte fiel auch noch einmal stärker aus als im März mit einem Minus von 22,7 Punkten. “Das Tal der Produktion wird immer tiefer”, sagte Ifo-Experte Klaus Wohlrabe. Zum Vergleich: Im Dezember 2008, in der Weltfinanzkrise, hatte der Index bei – 42,9 Punkten gelegen.Volkswirt Gitzel sieht allerdings zumindest etwas Licht am Horizont: “Die Industrieproduktion wird im Mai einen Satz nach oben machen”, sagte er. Die Lockerungsmaßnahmen seitens der Politik und das Anfahren der Produktion in den großen deutschen Automobilfabriken verheiße Besserung: “Die entscheidenden Fragen sind deshalb, wie lange das Echo der Eindämmungsmaßnahmen anhält und in welchem Ausmaß es zu nachhaltigen Schäden kommt.” Sektor arg gebeuteltGanz entscheidend kommt es dabei auch auf das Ausland an. Nach der Finanzkrise, in der die deutsche Industrieproduktion kumuliert um rund 20 % eingebrochen war, war es gerade die Nachfrage aus dem Ausland, etwa aus China, die die Erholung antrieb. Diese Hoffnung ist nun geringer, weil die ganze Welt unter der Pandemie leidet. “Das bedeutet, dass die deutsche Industrie, die von einer Reihe negativer Ereignisse wie der Dieselkrise, Problemen mit den Zulassungsnormen, niedrigen Wasserständen in den wichtigsten Flüssen und Handelsspannungen gebeutelt wurde, in absehbarer Zeit kein ruhigeres Fahrwasser vorfinden wird”, sagte ING-Ökonom Brzeski.