Deutsche Industrie sendet Lebenszeichen

Produktion zu Jahresbeginn unerwartet kräftig ausgeweitet - Außenhandel schwächelt - Konjunktursorgen nehmen wegen des Coronavirus weiter zu

Deutsche Industrie sendet Lebenszeichen

Von Alexandra Baude, FrankfurtDer Januar hat für die in der Rezession steckende deutsche Industrie zwar verheißungsvoll begonnen, doch der Ausbruch des Coronavirus hat den Erholungskurs wohl auch schon wieder beendet. Dies wird sich in den harten Daten vom Februar, spätestens aber in denen von März und April zeigen. Zudem beruht die im Januar unerwartet kräftig ausgeweitete Produktion auch auf Sonderfaktoren.Die deutschen Exporteure hingegen haben bereits einen verpatzten Jahresstart hingelegt. Dies verheißt für die hiesige Wirtschaft nichts Gutes, da die Brexit-Turbulenzen und die von den USA ausgehenden Handelsstreitigkeiten immer noch einer endgültigen Lösung harren. Anleger sehen die Weltwirtschaft angesichts der globalen Ausbreitung von Sars-CoV-2 bereits in die Rezession abgleiten, wie die Sentix-Umfrage von Anfang März zeigt (siehe Bericht auf dieser Seite). Mit Spannung erwarten Volkswirte daher die Ratssitzung der Europäischen Zentralbank (EZB) in dieser Woche, nachdem bereits die Fed und die kanadische Notenbank aus Sorge vor dem wirtschaftlichen Schaden durch das Coronavirus außerplanmäßig ihren Leitzins gesenkt haben.Dass die Wirtschaftsleistung hierzulande im ersten Quartal schrumpfen dürfte, ist unter Ökonomen bereits eine ausgemachte Sache. Ebenso einig sind sie sich aber auch in der Hoffnung, dass es in der zweiten Jahreshälfte zu einer Gegenbewegung kommen wird und das Jahr 2020 noch nicht komplett abgeschrieben werden sollte. Ihre Wachstumsprognosen haben einige Banken jüngst dennoch gesenkt. Minus nur bei ArbeitsstundenDas Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit etwa erwartet einen negativen Effekt auf das Wirtschaftswachstum in diesem Jahr “im Bereich von einigen Zehntelprozentpunkten”. Dies hänge aber von der Intensität der Auswirkungen des Coronavirus auf Lieferketten, Produktion, Exportnachfrage und Finanzierungsprobleme von Unternehmen ab, heißt es in einer IAB-Studie. “Andererseits ist es wahrscheinlich, dass es zu wirtschaftlichen Nachholeffekten kommt, wenn die Epidemie wieder abflaut.” Insgesamt bestehe erhebliche Unsicherheit über die weitere Entwicklung. Stärkere Auswirkungen auf Beschäftigung und Arbeitslosigkeit hält das IAB nach aktuellem Stand für “eher unwahrscheinlich”. Wahrscheinlicher als ein Rückgang der Beschäftigung sei ein Rückgang der geleisteten Arbeitsstunden.Vorläufigen Angaben des Statistischen Bundesamts (Destatis) zufolge haben Industrie, Bau und Energieversorger zusammen im Januar 3,0 % mehr hergestellt als im Vormonat – einen stärkeren Anstieg gab es zuletzt im November 2017. Zudem fiel der Fertigungsrückgang im Dezember nicht ganz so kräftig aus wie zunächst gemeldet: Statt -3,5 % waren es -2,2 %. Ökonomen hatten für den Jahresstart zwar eine Gegenbewegung erwartet, allerdings nur ein Plus von 1,7 % im Mittel prognostiziert. Allerdings waren für die Entwicklung drei Sonderfaktoren verantwortlich, wie Andreas Scheuerle von der DekaBank anmerkt: Erstens wurden Produktionsausfälle wegen der ungewöhnlich vielen Brückentage im Dezember rund um das Weihnachtsfest nachgeholt, was sich in der Fertigungsausweitung der Industrie im engeren Sinne von 2,8 % zeigt. Zweitens lief dank der im Januar ungewöhnlich milden Witterung die Bauproduktion (+4,7 %) auf vollen Touren. Zudem seien die Auswirkungen der globalen Stabilisierung zum Tragen gekommen, allerdings “bevor Corona zuschlug”. Einzig die Energieerzeugung lag unter dem Vormonatsniveau – um 0,2 %.Auch das Bundeswirtschaftsministerium strich in seiner Kommentierung der am Montag veröffentlichten Produktionsdaten die Sondereffekte heraus und warnte, dass “trotz der zuletzt wieder günstigeren Entwicklung der Auftragseingänge und des Geschäftsklimas der Ausblick für das produzierende Gewerbe angesichts der neuen Risiken durch die Ausbreitung des Coronavirus mit Unsicherheiten behaftet” bleibe. Im Januar hatte das verarbeitende Gewerbe insbesondere dank überdurchschnittlich ausgefallener Großaufträge aus dem Ausland 5,5 % mehr Neubestellungen eingesammelt als im Dezember (vgl. BZ vom 7. März).Thomas Gitzel, Chefvolkswirt der VP Bank, wertet das Produktionsplus vom Jahresstart als wichtigen Puffer: Dies sei “eine Art von Vorratshaltung für die schwierigen Zeiten, die vor uns stehen”. Commerzbank-Ökonom Ralph Solveen erwartet trotz der guten Januar-Zahlen für die Industrie und den Einzelhandel, dass die deutsche Wirtschaft im ersten Quartal leicht schrumpfen wird – denn nicht nur die Industrie werde zunehmend unter einer schwächeren Nachfrage aus Asien und fehlenden Vorprodukten leiden, sondern es mehrten sich auch die Anzeichen, dass der Dienstleistungssektor, der die Wirtschaft bisher stabilisiert, “mehr und mehr leidet”. Kein klarer Virus-EffektDie Schwäche Chinas, das besonders von der neuartigen Lungenkrankheit Covid-19 betroffen ist, zeigt sich in den ebenfalls gestern veröffentlichten Außenhandelsdaten. Während die Exporte nach China im Januar deutlich um 6,5 % auf 7,3 Mrd. Euro gesunken sind, war der Rückgang bei den Importen aus dem Reich der Mitte mit -0,5 % auf 10,4 Mrd. Euro moderat. Eindeutige Auswirkungen des Coronavirus seien aus den bisher vorliegenden Ergebnissen noch nicht abzuleiten, erläuterten die Wiesbadener Statistiker.Laut Destatis wurden im Januar insgesamt Waren im Wert von 106,5 Mrd. Euro exportiert – saison- und kalenderbereinigt blieben die Ausfuhren im Vergleich zum Vormonat unverändert (siehe Grafik). Da die Importe binnen Monatsfrist um 0,5 % geklettert sind – Warenwert der Einfuhren: 92,7 Mrd. Euro -, hat sich der Außenhandelsbilanzüberschuss von 15,2 auf 13,9 Mrd. Euro eingeengt. Der Leistungsbilanzüberschuss liegt laut Bundesbank bei 16,6 Mrd. Euro. “Die Unruhe auf dem Weltmarkt verhagelt den Jahresauftakt im Außenhandel und hinterlässt sowohl bei den deutschen Exporten als auch bei den Importen ihre Spuren”, kommentierte Holger Bingmann, Präsident des Außenhandelsverbands BGA, die Zahlen. Mit dem Coronavirus sei nunmehr ein zusätzlicher Faktor ins Spiel gekommen, der die Weltwirtschaft deutlich belasten werde. Bisher hätten die Unternehmen die aktuellen Herausforderungen mit Mühe meistern können. “Ab einem gewissen Zeitpunkt jedoch werden die wirtschaftlichen Auswirkungen spürbar, und dieser scheint jetzt erreicht zu sein”, sagte Bingmann. Er warnte allerdings davor, in Panik zu verfallen.