Industrie

Deutsche Industrie tritt auf der Stelle

Solange sich die Lieferprobleme nicht auflösen, kommt die Produktion trotz randvoller Auftragsbücher nicht hinterher – da macht der September keine Ausnahme. Zudem zeigen sich die Engpässe mittlerweile in immer mehr Branchen.

Deutsche Industrie tritt auf der Stelle

ba Frankfurt

Die Industrie kommt derzeit einfach nicht in die Gänge – weder in Deutschland noch im Euroraum insgesamt. Zu sehr lasten die Materialengpässe auf der Produktion, dazu kommen noch die zuletzt rasant gestiegenen Energiepreise. Ökonomen erwarten daher für die Industrieproduktion im gemeinsamen Währungsgebiet nur ein mageres Plus von 0,2% im Monatsvergleich für September, nach einem Rückgang um 1,6% im August. Ein deutlicher Fingerzeig dafür sind die unerwarteten Fertigungsrückgänge in den beiden größten Euro-Volkswirtschaften Deutschland (−1,1% gegenüber August) und Frankreich (−1,3%). Das überraschend kräftige Fertigungsplus der spanischen Industrie von 0,3% wird dies jedoch nicht ausgleichen können. Am kommenden Freitag berichtet das Statistikamt Eurostat über das Zahlenwerk.

Belastung von 40 Milliarden

Wie stark die Produktion im Euroraum­ durch die globalen Lieferproble­matiken gebremst wird zeigen Überschlagsrechnungen der DZ Bank: Ohne die gesamten Beschaffungsprobleme hätte die Fertigung „am aktuellen Rand um 5 bis 10% höher ausfallen können, als sie tatsächlich ausgefallen ist“. Ziehe man den Anteil der Industrie von rund 19% an der gesamten Bruttowertschöpfung des Euroraums heran und schreibe die Entwicklung von Produktion und Aufträgen bis zum Jahresende fort, dann hätte unter sonst gleichen Bedingungen das Wirtschaftswachstum „wohl um 0,5 bis 1 Prozentpunkt höher ausfallen können“. Für die deutsche Industrie beziffert Nils Jannsen vom Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) den Wertschöpfungsverlust auf 40 Mrd. Euro, wenn die Engpässe bis zum Jahresende in etwa auf dem derzeitigen Niveau bleiben. „Insgesamt dürften die seit Beginn des Jahres aufgetretenen Lieferengpässe die Industrieproduktion derzeit mindestens um 10% drücken.“

Obwohl die Auftragsbücher randvoll sind, kann das verarbeitende Gewerbe wegen der Materialengpässe die Nachfrage nicht bedienen. Im September drosselten Industrie, Bau und Energieversorger die Produktion um 1,1% zum Vormonat, wie das Statistische Bundesamt am Freitag mitteilte. Ökonomen hatten mit einem Plus von 1,0% gerechnet, nachdem die Fertigung im August um revidiert 3,5 (zuvor: 4,0)% so kräftig wie seit der ersten Coronawelle im Frühjahr 2020 nicht mehr zurückgefahren worden war. Damit liegt die Produktion 9,5% unter dem im Februar 2020 gemessenen Vorkrisenniveau. Die Industrie im engeren Sinne fertigte 1,5% weniger als im Vormonat, während die Energieerzeugung um 1,0% zulegte und die Baubranche 1,1% mehr herstellte.

„Die bereits seit längerer Zeit anhaltenden Lieferengpässe bei Rohstoffen und Vorprodukten schlagen sich auf breiterer Front nieder“, kommentierte das Bundeswirtschaftsministerium. Lange Zeit beruhte der Abwärtstrend auf der Entwicklung im Autosektor, seit zwei Monaten sei die Produktion auch in anderen Sektoren rückläufig, kommentierte Ralph Solveen von der Commerzbank. Drei Punkte sorgten aber für Hoffnung: So zeigten sich im September nur mehr 70% statt zuvor 77% der Industrieunternehmen von den Engpässen betroffen, der Lkw-Verkehr hat gemessen am Maut-Index wieder zugelegt und die Autoproduktion hat laut Daten des Branchenverbands VDA im Oktober wieder zugelegt. Das Wirtschaftsministerium berichtet, dass der Bereich Kfz und Kfz-Teile den Output im September um 2,1% wieder leicht steigern konnte, wohingegen der Ausstoß im ähnlich gewichtigen Maschinenbau um 3,3% sank. Auch in anderen Bereichen wie elektrischen Ausrüstungen (−3,3%) oder Datenverarbeitungsgeräten (−4,3%) und Metallerzeugnissen (−0,5%) kam es laut Wirtschaftsministerium zu Rückgängen.

Ökonomen werten die am Freitag veröffentlichten Daten als Beleg, dass die Industrie nicht nur im zweiten und dritten Quartal das Wirtschaftswachstum belastet hat, sondern auch, dass im Schlussabschnitt kaum Impulse zu erwarten sind und die Erholung zum Stehen kommt. Allerdings verweisen sie auf den hohen Auftragsbestand – sobald sich die Lieferprobleme auflösen werde die Produktion anziehen. Denn die Nachfrage verharre auf hohem Niveau, heißt es im Wirtschaftsministerium. „Wenn erst einmal Weihnachten und das chinesische Neujahrsfest hinter uns liegen, sollten sich die Lieferengpässe entspannen“ zeigt sich Jörg Zeuner, Chefvolkswirt von Union Investment eher optimistisch. Unternehmen rechnen nicht vor Mitte 2022 mit einer Besserung.

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